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Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
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dem emotionalen Scherbenhaufen etwas für alle drei und insbesondere für die einstigen Liebenden Wertvolles retten zu können. Bin erstaunt, beeindruckt, aufgewühlt, zwischen Bewunderung und Schrecken hin- und hergerissen. So endet das Jahr, so enden die Zermürbungskriege.
    Heute hat Hörning mitgeteilt, die russischen Übersetzungen seien eingetroffen. Der erste Journalband wurde vorvorletztes Wochenende in Frankfurt zwischen Kässens, Hörning und mir endgültig auf die Beine gestellt, das heißt als TEXT bereinigt. Nach Durchsicht der neuerlichen Reinschrift, die in Kürze eintreffen soll, wird das Ganze gesetzt werden. Nächstes Jahr wird das Buch erscheinen, flankiert von der deutschen Übersetzung des Essays von Derivière und meines Goya als Insel-Buch. Danach käme Das Fell der Forelle und in der »Kleinen Reihe« meine Ostasienreise. Und in diesem Monat noch will Doris Krockauer mir ihre große Dissertation ( Ich-Jagd ) überreichen. Und außerdem nimmt der von Reto Sorg betriebene Materialienband über mich Gestalt an. Insgesamt ein ganz schöner Packen NIZON-Exegese oder Sekundärliteratur. Abbruch und Aufbruch.
     
    Jetzt geht es definitiv in den neuen Roman, ich nenne ihn Das Fell der Forelle , bin von »Mein Herz« abgekommen, weil zu tragisch, der andere (Arbeits-)Titel tönt weniger blutig, mehr ins Abstruse, Bizarre, Surrealistische (?), Wunderliche, ins Gebiet der Entdeckungsreise weisend. Andere Weichenstellung.
     
    Neulich abends, ich war auf dem Heimweg, Rue Caulaincourt, und wie so oft, begreiflicherweise, etwas verstört angesichts der meiner harrenden Einsamkeit oder Einzelgängerei, neulich also hat mich ein Araber, der die vor seiner Epicerie ausgelegten Gemüse- und Früchtekisten umstellte oder einfach fürs Abendgeschäft nachfüllte, tief gerührt, nein, er hat mir eine Welle der Wehmut entlockt, ich fragte mich, ob es das einfache Hantieren eines in seinen Dingen oder Angelegenheiten ruhig Beheimateten, ob es dessen Aufgehobensein, eine Häuslichkeit war, die mich meine neue Entwurzelung mit Schrecken verspüren ließ. Eine alltägliche Verrichtung wie ein Kehrreim, der Gang der Dinge – und ich? Und einmal sah ich einen Jungen, jungen Menschen, eine Wollweste oder -joppe auf der Straße überstreifen, und natürlich verwendete er keinen Gedanken daran, er war jung und kräftig und schien es eilig zu haben, und nun schritt er aus, lief seinen Dingen nach, und ich dachte, natürlich verwendet er keinen Gedanken an die nachlässige Geste und schon gar nicht an die Jacke, er hat es eilig, er hat andere Dinge im Kopf, aber warum sehe ich ihm nach, sehe ich hin? Weil er jung und getrieben und unversehrt und vor allem voller Vorhaben, voller Zukunft ist und seinen Körper verschwendet, gedankenlos, klar, während ich … was? angeschlagen, mit Knieschmerzen neuerdings, überhaupt angeschlagen und kurz vor der Scheidung und diesbezüglich keineswegs mit zuversichtlichem inneren Glockenläuten, sondern schon eher angstgekrümmt bin … und denke an sehr weit zurückliegende Zeiten, wo ich, jung, wenn auch mißgestimmt, weil möglicherweise mit Realisierungszweifeln oder aus Geldgründen niedergedrückt ebenso dahinlief wie er und etwas überstreifte im Laufen und keinen Gedanken an den Körper verschwendete, weil dieser jung und kraftvoll war und jedenfalls kein Problem, keinen Gedanken wert.

    14. Dezember 2001, Paris
     
    Gestern bei Robert Müller in Villiers-le-Bel gewesen, im Regionalexpress durch die Vorstädte, Banlieue und dann in dem inzwischen schon fast bis zum Grad der Verfallenheit verkümmerten alten Notariatshaus Nähe der alten Kirche gelandet. Man tritt durch die große Kutschertür in den düsteren Vorraum, sieht durch die trübe Glastür in den Garten, das heißt erst in den Vorhof zum riesigen, mit diversen Treibhäusern, einstigen Eisenateliers, besiedelten Park mit der riesigen Zeder, die unter Naturschutz steht. Im Vorhof der Riesenschnauzer, winselnd und scharrend um Einlaß bettelnd. Robert hatte mich angerufen, ich solle mir eine Anzahl Zeichnungen aussuchen, er will den Nachlaß nicht einem Archiv oder Museum übermachen. Wir saßen erst an dem langen Tisch wie eh und je, er kam mir in der Erinnerung viel länger vor, wie übrigens auch Miriam und Robert kleiner geworden sind, altershalber. Ouzo und Nüßchen zum Apéro und dann gleich nebenan mittagessen beim Portugiesen, der anscheinend nur noch auf Wunsch und Bestellung warme Speisen auftischt, wir tafelten

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