Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
Plotlosigkeit mein Kreuz und der Grund für das jämmerlich langwierige Entstehen des Textes. Ich wollte ja die Ausgangssituation aus dem Jahr der Liebe : das Landen/Stranden eines krisengeplagten, vielleicht liebeskranken Ausländers im Tantenschachtelzimmer, wiederaufnehmen, nur daß diesmal der Mann, der kein Schriftsteller ist, ein Sprachloser, keine Rettung findet. Er läuft in den Untergang, das heißt in die absolute Isolierung, in den Kerker seines geplagten Selbst, in die Verrücktheit und in den Untergang. Wobei ihm selber das Überdrehen und Überkippen (= das Verrücktwerden) nicht bewußt ist, dagegen dem Leser sehr, und zwar zunehmend. In all den im Verhältnis zum Normalbetragen als verrückt erscheinenden Betragensformen, Äußerungen und Selbsthinterfragungen steckt eine ziemliche Portion Komik, das Buch ist – soll man sagen – verzweifelt komisch. Die Komik hat auch mit einer unfreiwilligen Selbstabbildung (des Erzählers oder besser Erleiders) zu tun.
Er wagt in der Wohnung nicht Fuß zu fassen, weil er da nichts zu suchen hat. Er ist eine Art Erbe. Die verstorbene Tante lebt als eine Gewissensstimme mit ihm in der Wohnung. Er haust da, ohne sich niederzulassen. Die Wohnung verkommt.
Er hat nichts zu tun, keine Beschäftigung, nur zu warten und bis dahin Zeit herumzubringen.
Das Warten – worauf? – geschieht u. a. in Form von Unternehmungen. Kundschaftsgängen, es sind dies kleine oder minimale Expeditionen in den Tag, in die Stadt hinein. Expeditionen bis Odysseen (wobei ein solcher Begriff sträflich hochgegriffen erscheinen muß). Die Frage ist: Was will muß oder darf er erfahren auf solchen Ausfluchten Ausflüchten? Sind es metaphysische Ausflüge?
Da sind die drei Frauenfiguren: Carmen, Ghislaine, Tante. Sie sorgen sich um sein Heil. Männerfiguren gibt es nur in negativem Sinne: die Brüder im Waschsalon, der Pulloverwirt.
Bis dahin lag das Heil für meine Figuren in der Selbsterfindung, also Imagination. Frank hat sich als Abkömmling von Luftakrobaten/Trapezkünstlern kurz nach seiner Landung in der Falle eine Identität angeschwindelt, er ist ein Zirkuskind. Aber in Bruchstücken gibt er auch Einblick in eine andere private Vergangenheit, eine näher liegende: die gescheiterte Liebe – möglicherweise der Anlaß für sein Stranden, möglicherweise das Todesurteil, und sein »Erdenleben« in der »Tanten«wohnung wäre nurmehr so etwas wie das Zucken des Fischs auf dem Trockenen.
Wo und wie soll ich ihn nun weiter- und zuendeführen?
Die Forelle ist ja nicht zu haben. Hätte man sie »gefangen«, dann wäre sie, ihrem Element entzogen, am Ersticken und Verenden. Die Forelle ist der Raum der Erwartung, das Hoffnungsfünkchen, Glühwürmchen eines Hoffnungsschimmers.
So bleibt es bei der definitiven »Unbetretbarkeit« der Wohnung und seiner eigenen diesbezüglichen Heimatlosigkeit. Sieht man Franks Lage von außen an, so muß sie aussichtslos bis tragisch erscheinen. Er zappelt wie ein Insekt im Netz vielfacher (Lebens-)Verhinderung.
Ermanne dich! Was könnte das in seinem Falle bedeuten?
9. August 2004, Paris
Forelle
Das eile eile des Anfangs meint ja nicht einfach Weglaufen, nein, es ist der Ausdruck von Ungeduld, es ist im Zusammenhang mit einer Mission zu lesen, es wäre die Ungeduld, das Wesen zu erhaschen, das mir immer davonschwimmt (sich mir entzieht), und was ist das Wesen, wenn nicht das ICH, das eigene Gemeintsein, es wäre die Rettung.
Dann könnte ich die Wohnung beziehen in der Stadt, in der Welt. Dann könnte ich den Helm anlegen, mich rüsten (und ausziehn mit meinem Tod gegen den Tod). Dann hätte ich eine Geschichte.
11. August 2004, Paris
Hörning sprach am Telefon nach mehrmaliger Lektüre des bisherigen Manuskripts von einem Attentat, bemerkt das Nebeneinander von schreiender Schmerzlichkeit oder Verzweiflung und verrückter Komik, unterstreicht die Zwangsläufigkeit auf eine tödliche, eventuell mörderische Verengung hin – und bei alldem bleibe alles geheimnisvoll. In den Dialogen etwa mit Carmen schwingt Zärtlichkeit mit, und dennoch bleibt offen, ob er sie nicht umbringt.
Bezüge zur Nizon-Biographie einzig in den paar Serrazzano-Reminiszenzen. Klar ist die unmögliche Liebesvergiftung mit Odile eine vage Hintergründigkeit, doch ist sonst rein nichts, nämlich nicht die geringste Allusion an Schlüsselromantik. Ich persönlich denke und möchte, daß das Warten und Bangen auf die Forelle bzw. deren
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