Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
fast Einbrecher, eine Erscheinung. Erzählt wird in sieben Tagen Don Juans jüngste Frauenzeit. Wie sich herausstellen wird, ist dieser Don Juan ein Sendbote, ein Überbringer von etwas (aus einer anderen Welt), und was er überbringt, ist ein (höheres) Wissen. Und der Gastwirt wird dadurch eingeweiht. Es ist die Erzählung einer Einweihung, und die Sprache ist eine Art Bibelsprache, es geht um Wunder und Offenbarung, es geht im Kleinen auch immer um Wunder der Natur, aber im Großen um das Wunder der gegenseitigen Erweckung von Mann und Weib, fast einer Taufe – zum Menschwerden. Und tatsächlich besitzt dieser Sendbote Don Juan eine Macht über Menschen (sie zu verwandeln), er ist verwandt dem Besucher in Pasolinis Teorema . Nun, die Sprache ist altertümelnd ungelenk und tönt manchmal wie eine ungeschickt auf Genauigkeit bedachte Übersetzung einer tiefen Überlieferung, einer mündlichen natürlich. Don Juan verschwindet, nein er verläßt den Gastwirt, wie er die Frauen verläßt, sein innerster Sinn ist angeblich das Trauern (um ein verlorenes Kind), nein, nicht sein Sinn: sein Tun, seine Bestimmung. Es ist auch eine Reise oder wie immer Wanderung, und es kommen weit verstreute Orte in der Welt vor, so Tiflis, Damaskus.
Offenbarung, Sinnsuchen, Heiligung.
Man kann es lesen wie die Anlehnung an eine (heilige) Schrift oder auch wie an den Haaren herbeigezogen, eine Zumutung, manchmal an der Grenze zum Peinlichen? Und dennoch gewinnt der Text gleichsam wider Willen des Lesers allmähliche Autorität. Man kann ihn ablehnen, doch man kann sich ihm mit fortschreitender Lektüre kaum entziehen. Sprachlich am schönsten sind die Stifterschen Naturbeobachtungen, wenigstens für mich. Ist der Text nicht in einer Art Prophetensprache geschrieben? Der Mann ist wirklich ein sittlicher Lehrer, Erzieher.
18. November 2004, Saint-Jans-Cappel
Eben zurück aus einem Lycée, zwei Klassen, insgesamt etwa sechzig Schüler, Mädchen und Jungen, sehr sympathisch, alle in diesen nicht gerade schulsauren, aber doch für Halbwüchsige typischen, sportlich sträflingsabgenutzten Aufzügen, (genormten) Körperverpackungen, die Gesichter bei näherem Hinsehen fast ergreifend mit dem Ausdruck von Neugierde, Respekt, erwachendem Interesse, obwohl man ja über eine Mauer, wenn nicht über Gräben hinweg einen, nun, Gedankenaustausch in Gang zu setzen versucht. Ich bin ein Kuriosum als lebendiger Vertreter der Spezies Schriftsteller. Zudem in tiefer Provinz.
Und heute vormittag am Telefon die Nachricht von Höhlus Tod erhalten und eben jetzt einen Anruf der einstigen Henriette Pinschewer, die wir damals im Gymnasium Weggli nannten und mit Höhlu bis zuletzt in Kontakt gestanden zu sein vorgibt. Mein ältester Freund tot, mein Schulbänkleinkamerad und beinah Herzensbruder, mit dem ich nicht nur bis zur Matura alles geteilt habe, vor allem das denkbar intimste Wissen voneinander geteilt habe. Lange hatte ich ihm seinen mit der Diplomaten- und Botschafterkarriere verbundenen Komfort übelgenommen, das Baden in Privilegien, das mit mondänen Gepflogenheiten verbundene Verrätertum, wie ich mir vorstellte, Verrat an allem, was wir an Idealen damals geteilt hatten in jugendlicher Hochgestimmtheit, während ich den mit mageren Jahren nur zu reich ausgestatteten einsamen Weg ging. Doch das wurde ausgeräumt, als wir wieder Kontakt aufnahmen, des öfteren am Telefon und dann als ich ihn in Athen besuchte. Und wie wir da in unseren alten Brüderschaftlichkeiten schwelgten. Am schönsten unsere späte Schulzeit mit dem ganzen Hinaussehnen und -denken, hinaus aus Schulstufen und Elternhaus, hinaus in eine von Symphonien und Lektüren vorgebahnte Zukunft, ins Leben – welch ein Leben! Und dann wurde es in seinem Falle doch sehr bald schon ein Leben in den gesellschaftlich vorgeplanten Spuren des Botschaftervaters und dann seiner eigenen Außenposten, zuletzt, nach Moskau, Belgrad, Washington, Brüssel etc., in Bonn und Athen, wo er von den zwei Thailänderinnen, die er vor langem angeheuert hatte (als Botschafter), nun im Ruhestand versorgt und bekocht wurde – er war ja auch einmal Diplomat in Bangkok gewesen, wenn er die beiden Schwestern auch erst später in Belgrad aufgegabelt und eingestellt haben mag. Und nun ist er, wie seine Frau mitteilt, als längst nicht mehr fußfester, vielmehr dahertappender und nach vielen Stürzen überhaupt nicht mehr gehfähiger, vom Alkohol und anderen Ausschweifungen zerstörter alter Mann in einer
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