Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
Monat hatte ich bisher Lesungen und damit verbundene Reisen. Zuletzt Bonn, nächste Woche Zürich ( Abschied von Europa als aufgemotztes Buch und Kunstobjekt zusammen mit einer Ausstellung der Fotos von Willy Spiller in einer Galerie und zu diesem Anlaß die Lesung). Nebenher in Zürich verschiedene Verpflichtungen – Gespräch über Canetti mit Morlang; Atelierbesuch Willy Rieser für einen Text, außerdem Valérie und Elisabeth Plahutnik plus Marianne (sie erhält Einblick in die sie betreffenden Teile des neuen Journals zwecks Personenschutz). Derlei Ablenkungen oder Unterbrüche. Und dann laufen die Vorbereitungen für einen 52minütigen Fernsehbeitrag »Les grands entretiens« fürs Westschweizer Fernsehen, der Partner ist Daniel Jeannet, auch das braucht seine Vorbereitungszeit. Und dann ist nach wie vor viel Aufmerksamkeit für Odile vonnöten, und auch das Erscheinen Igors während der langen Auffahrts- oder Pfingstwochenenden verlangt väterlicherseits Hinwendung und Präsenz. Letztes Wochenende war großes Schulfest in Juilly (in der Roissy-Gegend), das aus dem 17. Jahrhundert stammende Collège, das älteste Frankreichs, war in ein ausgedehntes Rummelgelände verwandelt. Sehr eindrücklich Schloß und Wehrturm und die umliegenden Parkanlagen; ich war mit Odile, die mich in ihrem Wagen hinfuhr, zugegen – mit wem denn sonst? Ich bin ja ihre Anlaufstelle und das Seelenlazarett.
Fiel mir ein, daß die Forelle mit dem früheren »Auf der Suche nach dem verlorenen Fisch« zu tun hat, das heißt korrespondiert.
Und jetzt müßte ich noch eine Miniversion eines Vorworts Grußworts Segens ?? für Bernhard Wüschers riesige Werkkassette zu seinem 60. Lebensjahr schleunigst hinbekommen. Es scheint, die Kassette enthält perfekte Reproduktionen aus allen bisherigen Entwicklungsphasen, Werkperioden und eingestreut Zitate aus bisherigen Würdigungen nebst einem durchlaufenden Text von Ueli Meister, alles in allem eine reiche und reich dokumentierte Rückschau (für den Maler Bilanz), von mir erwartet man sich möglicherweise einen gewitzten Toast, champagnerspritzigen, oder aber eine originelle Etikette aufs Ganze.
Das Problem bei der Forelle besteht darin, daß ich den Kerl oder Protagonisten immer über eine weitere Schwelle/écluse bugsieren muß, wobei die Schwelle einesteils eine Handlungs wendung , zum andern einen weiteren Schritt in die Verrücktheit hinein bedeutet, und all das fern von Theorie, sondern möglichst selbstverständlich. Und ich selber weiß ja nicht das mindeste im voraus, ich lasse mich überraschen, oder anders gesagt: Ich hänge ganz und gar von Einfällen oder Zufällen ab. Aus diesem Grunde sind mir die Unterbrüche nicht unlieb. Übrigens hat mir noch nie das Schreiben eines Buches so viel Spaß gemacht und Vergnügen beschert. Es ist einfach schlicht wunderbar, wie die Dinge aus mir heraus- oder hervorkriechen. Wie ich mich überraschen lasse. Zudem ist mir bewußt, daß ich meine eigene Depression im Zusammenhang mit der Scheidung auf den armen »Frank« übergewälzt habe. Kaum fing er an, auf dem Papier zu laufen, fühlte ich mich erlöst und befreit.
Das Verrückte schillert ein klein wenig ins Metaphysische, und genau in diesen irren Abläufen muß ich mit allen Gelenkstellen nicht nur exakt, sondern auch zwingend anschaulich bleiben. Das Ganze muß in der Mechanik ineinandergreifen wie ein Uhrwerk – wenn man es auch nicht als erstes sehen mag. Eine verdammt heikle Erzählpraxis.
Ende Juni 2004, Paris
Bei Suhrkamp ist offenbar eine Einladung nach Rußland für mich eingegangen, es handelt sich um einen Aufenthalt in der Wolgagegend. Auslöser scheint das Projekt einer russischen Canto -Übersetzung zu sein – und dies unabhängig? von oder nach vier anderen Übersetzungen. Ich notiere die freudige Nachricht, weil ich die ganze Zeit daran herummachte, mir eine Rußlandreise zu organisieren, zuletzt mit Igor zum Ferienabschluß: Und jetzt fliegt eine Einladung ins Haus. September. Auch mit Valérie und Leonid, die diesen Sommer nach Rußland fahren, war gemeinsam eine Reise seit langem geplant. Zusammen mit Canto hätte ich dann fünf Bücher auf russisch, anzahlmäßig nach den französischen die meisten Übersetzungen, es ist das Herkommen, das Heimweh, das mich dabei besonders berührt. Außerdem tun sich Übersetzungen ins Polnische auf (Vera Michalski).
Was nun das zimperliche Vorankommen der Forelle angeht, so ist einmal mehr die Handlungs- und
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