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Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
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Fleischwerdung nur als ein unergründliches Parfum in der Luft liege. Möglich wäre außerdem, daß die Sprachmaske des Erzählers (den bisherige Leser wie Diane Meur, die Übersetzerin, oder war es Skwara? dahingehend memorieren) entfernt walserische Anklänge hat. Das Sich-Herausreden! Und damit wären wir VOR DEM GERICHT.
    Ich fühle, daß ich mich dem Ende nähere oder zuwende, wenigstens in der Richtung. Im Moment schreibe ich nicht an der Forelle ,wenn ich sie auch nie ganz aus dem Sinn lasse. Es ist ja Hochsommer. Es ist ja Hitzepause.

    7. September 2004, Paris
     
    Nachsommer, Altweibersommer hier in Paris, die Stadt innig in sich gekehrt, das Lebensgefühl heiter beschwingt oder doch von Entzückungen gestreift, das Träumerische springt von den Fassaden und löst sich vom Pflaster, und zwar in dem herrlichen Sonnenlicht, das nicht mehr mörderisch, sondern Abglanz ist, ja, vielleicht ist Abglanz das Wort, das sowohl die äußere Verzauberung wie deren Widerschein in der eigenen Laune bezeichnet. Es ist ein Aufleben, und in rund zehn Tagen gehts nach Rußland, nach Moskau und in die Wolgagegend nach Rostow, Saratow. Lesereise, Lesungen an Goethe-Instituten, und zwar aus dem Canto , der eben übersetzt herausgekommen ist, die Übersetzung liest ein russischer Schauspieler.
    Ich beginne mich zögerlich für die Reise zu erwärmen, es ist zum ersten Mal, daß ich, um es pathetisch auszudrücken, den Fuß auf den Boden des Landes setzen werde, aus dem mein Vater stammt. Er kam übrigens ungefähr im selben Alter wie Leonid, das heißt, beide haben nur die Kindheit, das Aufwachsen bis zur Maturität in Rußland verbracht, nun, rund zwanzig Jahre, der eine unter dem Zaren, der andere unter den Sowjets. Für mich kommt das im Grunde erzwichtige Ereignis wahrlich spät im Leben.
    Ich habe sommerpausiert, doch nicht wirklich gelitten wie sonst, es war ja nicht extrem sommerlich dieses Jahr, nun, in Rom war es heiß, wo ich Ende August zusammen mit Igor eingeflogen bin, um Dieter Bachmann in seiner neuen umbrischen Bleibe zu besuchen, auf einer Hügelkuppe mit Sicht auf Montefalco und Assisi, wo wir einige Tage verbrachten.
    Der Tramontana riß an den Nerven, trotzdem genossen wir, nun, was? das Ausspannen? den Gastlichkeitsgrad? die landschaftliche Schönheit und das Bachmannsche Landleben (wie weiland in Serrazzano), es hat bei allem Komfort und der architektonischen Reinlichkeit oder Zurückhaltung etwas leise Pionierhaftes, weil etwas von Gutsbesitzerleben, wenn auch ohne Tiere, aber mit Gemüsegarten und Olivenanbau. Es ist eine Wahl, das spürt man, darum spielte Freund Dieter anfangs in seinen Briefen auch auf Bouvard und Pécuchet an.
    Besuche in den umliegenden Städtchen. Ich habe diesmal weder in Rom noch auf dem Lande die Italianità genießen können, die entsprechenden Antennen vermeldeten nichts, auch auf den alten Wegen der ewigen Stadt kam innerlich nichts in Wallung oder auch nur Bewegung, mag sein, daß es mit Igors anscheinend totaler Unempfindlichkeit, einem demonstrativ und in meinen Augen blasiert zur Schau getragenen Desinteresse zusammenhing, er ging in den Insignien seines sorgfältig fabrizierten Halbwüchsigenlooks wie in einem Tarnkleid oder besser einer narzißtischen Abkapselung des Wegs mit Augen nur für Modisches oder seinesgleichen, nämlich Halbstarkes. Ich meckerte nicht oder nur ganz wenig an ihm herum, wir vertrugen uns sogar, doch teilen konnten wir nicht eben viel. Und dennoch war dieser Ferienversuch für Vater und Sohn meinerseits (der ich Sommer und Ferien hasse) in jeder Hinsicht ein über meine Verhältnisse gehender Kraftakt gewesen.
     
    Neulich zusammen mit Odile und Igor (der jedoch gleich aufgab und per Taxi nach Hause desertierte) eine Abel-Ferrara-Nacht im Kino Champo verbracht, drei Filme bis zum Frühstück, Beginn um Mitternacht. Ich mag diesen in meinen Augen genialischen, als Person verdrogten, verrückten, wohl versexten Filmer mit seiner apokalyptischen Kreativität oder besser Intensität – Gewalt und Sex/Sex und Gewalt –, seine Protagonisten sind alle an der Nadel und an der Flasche und am Kopulieren, es ist eine abstoßende Fauna von Jet-set-Film-Pack oder mafiöser Kriminalität, seine Verfluchten haben längst alle Grenzen von Verantwortlichkeit oder Achtung vor dem Leben in irgendeiner Form hinter sich, aber die künstlerische Kralle oder Signatur ist hinreißend, im Vergleich dazu kriege ich angesichts der braven französischen

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