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Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
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Unerreichbarkeit, die mich mit dem Wünschen ansteckte, erfüllte und keine Erlösung gewährte. Maria war nicht zu haben für mich, weil sie mir leuchten sollte, hätte ich sie gehabt, wäre das Leuchten erloschen. Und was der Kummer oder Schmerz oder was die Lehre war: die Vorausnahme, daß ich zu sagen und nicht zu haben geschaffen oder vorgesehen war und daß dieses Amt Einsamkeit bedeuten würde.

    17. Dezember 2003, Paris
     
    Gestern Scheidung, Odile ernennt den Tag und das Ereignis zum zweitglücklichsten ihres Lebens, am glücklichsten die Heirat März 1980, wie sie meint, nun die wiedergefundene Würde, und die Bahn für eine neue Beziehung zwischen uns sei frei. Anwalt Jean-Michel Dessaix in seiner schwarzen Robe sorgte für den reibungslosen Verlauf vor der Richterin und für Spaß beim anschließenden Champagnertrinken im Restaurant gegenüber dem Palais de Justice. Danach Fondue in meiner Wohnung zusammen mit Jean-Baptiste und Colette.
    »Rencontre avec Paul Nizon« in Aix zusammen mit Martina Wachendorff – Gespräch und Lesung aus Adieu à l’Europe – und danach nächtlicherweise Fahrt nach Arles und dort das Wochenende sozusagen im Kreise der Lieben (Actes-Sud-Leute) samt Konzert in der Kapelle und Mitternachtsmahl bei Françoise Nyssen und Jean-Paul Capitani in einem noch nicht ganz eingerichteten, etwa zwanzig Zimmer umfassenden, halb antiken, halb Fellinischen Palazzo. Und ich wie auch schon in der Suite des noblen, altehrwürdigen Hotel Amphithéâtre Nähe Arènes. Die antike Steintrümmerschwere und die kleinen Provence-Häuser von van Goghs Gnaden und die meerwärts ziehende Rhône und der südliche Markt und die Luft des Südens, in der immer ein wenig Rauch von verbrennendem Gesträuch in Gärten mitzieht, die Südluft betörend.

    31. Dezember 2003, Paris
     
    Zurück aus Turin und von den Weihnachtsfesten bei Valérie in Baden (zusammen mit Igor), zurück aus Italien und der Schweiz.
    Jetzt müssen noch die paar Träume notiert werden. Der schlimmste ging so:
    Die Umstände weiß ich nicht mehr, nur so viel, daß auf einer Art Henkerskarren, ich sage Henker und Karren, weil es sich um ein altmodisches Fuhrwerk handelte und weil auf der Ladefläche dieses Schinderhanneskarrens ein abgezehrtes gottergeben hinfälliges altersgraues richtig sieches Tier auf wackligen Beinen stand, weiß nicht mehr ob Hund oder Pferd, das Fell teilweise kahl oder besser abgefressen, abgeschabt und schwärenbesetzt, es war klar, daß die Fahrt zum Abdecker führte, ins Schlachthaus. Das Schrecklichste jedoch war das Kälbchen, das hinter dem greisen Tier stand und sein Maul in den kotig-blutigen After steckte, sowohl wärme- wie nahrungsuchend, Nähe, Halt und Schutz und Zugehörigkeit suchend. Die Vorstellung des flaumigen Mauls in dem kotigen Hintern, das unerträglich Rührende, auch der Vergeblichkeit wegen Rührende des unschuldigen Annabelungsversuchs – es war schrecklich. Ich konnte nicht hinsehen und wollte es nicht wahrhaben, im Traume, es ging über meine Kräfte. Valérie meinte nach Anhörung des Traums, das todgeweihte Tier sei die gestorbene Ehe, und das Kälbchen trotz allem tröstlich, weil lebenversprechend. Sagte es in erstaunlicher Reife, wie mir Valérie überhaupt nicht nur klug und wissend, sondern in jeder Hinsicht reif erschien; und außerdem von einer überragenden Teilnahmsfähigkeit, Liebesfähigkeit. Weihnachten verlief ohne Trübung sowohl in dem schönen Haus zusammen mit den Kids Igor und Xenia und Leonids ebenso diskreter wie mutwilliger Anpassungsfähigkeit, wie auch während des Besuchs der riesigen Ausstellung von Trudi Demut und Otto Müller in den Hallen des Zürcher Güterbahnhofs. Nie habe ich das Werk der beiden verstorbenen Freunde so sieghaft schön erlebt. Caroline Kesser und Ralph Baenziger haben sich um den Nachlaß gekümmert, nein, sie haben ihn gerettet, indem sie ihn in eine Stiftung umgewandelt haben. Sie empfingen uns – wie in alten Trudotti-Zeiten – zu Wein und Brot und Käse, deliziös.
    Anderntags gings nach Italien: Gotthard, Bellinzona, Locarno und dem Langensee entlang in das Piemont. Drei Tage Turin bei Kälte und Sonne und Schnee.
     
    Wieder zurück, träumte mir davon, daß bei Actes Sud einer von meinen Rivalen, weiß nicht mehr, um wen es sich handelte, überschwenglich gefeiert wurde, das heißt, sein Eintreten in den Verlag wurde mit allen Ehren gefeiert. Ich stand dabei und dachte, klar, sie haben einen Sieger, einen, der sich verkauft,

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