Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
Menschheit, daß dieses einzigartige Bewußtsein, diese geistige Versammlung, mit dem Dahinscheiden der sterblichen Person erlöschen und verschwinden sollte. Diese Ver-innerung umsonst?
23. Februar 2005, Paris
Montag, 21.2., ist Elisabeth Plahutnik gestorben, wie mir Valérie mitteilt. Sie scheint sich den Oberschenkelhals gebrochen zu haben und zur Operation ins Spital verbracht worden zu sein. Elfie Zuber saß am Krankenbett; Sonntag sei sie noch ansprechbar gewesen, dann in einen heftigen (?) Abwesenheitszustand mit Agitation der Beine, wohl Todeskampf, verfallen, hierauf in tiefen Schlummer mit unregelmäßigen Atemzügen bis zum letzten Atemzug.
Sie befürchtete das Ableben des alten Siamesen Ulan, nun ist sie vor ihm gegangen.
Ich habe gestern nacht an sie gedacht und Abschied genommen. Ich ermaß den Verlust. Vermutlich war ich nirgendwo sonst in meiner ganzen Widersprüchlichkeit so begriffen, gesehen und, ja, wohl geliebt worden. Bedingungslos. Erkannt, rundum angenommen. Dieser Halt, diese Heimat ist nun nicht mehr. Wie das Haus, als Hafen, Anlaufstelle, wenn nicht »feste Burg« oder Gewißheit . Sie war, neben meinen Frauen, die Gefährtin, Verschworene, Vertraute. Sie kam wohl wirklich, wie sie immer behauptete (und manchmal schien es mir Anmaßung), aus der gleichen Ecke. Wenigstens ist sie in Das Drehbuch der Liebe eingegangen.
20. März 2005, Paris
Heute nacht träumte mir, und ich hege den Verdacht, es sei das zweite Mal, daß ich ein Theater gekauft hätte, ich war Theaterbesitzer, frischgebackener Theaterbesitzer.
Es war ein runder, ziemlich hoher hölzerner Raum mit Bühne und verborgener Bühnenmaschinerie dahinter, mit Zuschauerrängen, Garderobe, aber alles klein und kostbar. Wie hatte ich dieses wunderbare Etablissement nur erwerben können? Wie war ich darauf verfallen? Ein Rätsel, ein Kunststück. Dabei hatte ich das Theater keineswegs in der Absicht erstanden, es zu bespielen. Ich bin kein Theatermensch. Ich war auf der Suche nach einem Atelier oder einem Loft, wo ich sowohl wohnen wie arbeiten könnte, und stieß im Verlauf meiner Besichtigungen auf dieses einmalige Objekt, das zwar meinen Bedürfnissen in keiner Weise entsprach, jedoch in anderer Weise unwiderstehlich schien, weil geheimnisvoll, weil intim, weil ein Luxus, weil eine Einladung, Herausforderung, ein Nachtstück. Und so befand ich mich in dem wie der Resonanzkörper eines kostbaren Streichinstruments wirkenden, noch ohne Zweckbestimmung in meinen Besitz übergegangenen Kleintheater, und zwar mit ausgewählten Freunden, als ich gewahr wurde, daß da ein schnauzbärtiger, Hut tragender Brillenträger mir gewissermaßen über die Schulter schaute, ein noch jüngerer Mensch, mir unbekannt, dachte ich, bis ich erkannte, daß sich hinter der theatralischen Maskerade meine Nichte Tamara verbarg. Sie da?
Ich besaß nun dieses kostbare Kleintheater, für das ich noch keine Verwendung hatte, das mir aber als nächtlicher Ausweg oder Abstieg nicht nur vielversprechend, sondern verlockend und wie das Schlupfloch zu einem neuen Zweitleben erschien.
30. März 2005, Paris
Vorgestern Ostermontag endlich den letzten Schluß vom Fell der Forelle geschrieben und anderntags abgeschickt. Ich hatte mir eine Woche Aufschub genommen (mit Hilfe einer dicken Grippe), habe aber auch schon gedacht, daß ich dieses Buch nicht hergeben wollte. Als es soweit war, gab es innerhalb der österlichen Ferien-Feierstimmung (die von draußen spürbar war und mich abschirmte) weniger ein Aufatmen als ein Innehalten in mir, ein Glücksinnesein, weil die Vollendung gelungen und die Forelle abgesprungen war, so daß mir die Tränen in die Augen schießen wollten. So schön dabei war ich noch mit keinem Buch gewesen, so glücklich auch, wenigstens zuweilen, wenn wieder ein Abschnitt gelungen war. Doris Krockauer, die vorher hier zu Besuch war, meinte, es sei mein erstes Buch als Junggeselle, als Alleinstehender, was ja auch stimmt: Wenn ich vordem auch immer in einer Art eigenem Kloster gearbeitet hatte, so war ich dennoch immer verheiratet gewesen und insofern eingebunden. Bei diesem Buch nicht, es entstand während der Trennung und nach der Scheidung, hauptsächlich im Atelier oben auf der Butte Montmartre.
Kann es immer noch nicht fassen, wie mir diese Figur, Frank, Abkömmling von Luftakrobaten, der in den freien Fall weglief und in seiner kleinen Odyssee durch das kleine Viertel rund um die einstige Tantenwohnung so viel Leid,
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