Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
den Roman, mein Fell der Forelle , hinkriegen, was mir knapp gelang, es fehlt nurmehr knapp eine Seite. Ich denke, ich wollte das Buch noch nicht hergeben, schließlich war es ja die ganze letzte Zeit meine innere Heimat; so wie die Ateliergegend meine geheime Seelenheimat war. Hatte beim Ankommen in dem Viertel oft das Gefühl, in den Roman wenn nicht die Literatur physisch einzutreten. Was habe ich nicht im 18. Arrondissement und zu Teilen in den Straßen meiner ersten Pariser Zeit (Rue Simart) für meine Forelle eingesammelt!
Im bereits erheblich voranschreitenden neuen Jahr 2005 sind meines Wissens (wenigstens finde ich kein entsprechendes Sichtmäppchen) noch keine Aufzeichnungen entstanden, es wäre begreiflich: der Umzug, das Packen, Aus- und Einräumen; und danach gleich, nämlich unmittelbar darauf der Geburtstag und die nachgeholte Feier im Centre culturel suisse (10. Februar), danach die andere Feier in der Klettenbergstraße im Unseld-Haus in Frankfurt.
Den Tag des eigentlichen Festes arbeitete ich mit Hörning am Manuskript. Ja, da wäre nun das Buch, das so zögerlich und definitiv wie unvorhergesehen aus mir ausgeschlüpft ist in immerhin langer Zeit, für mich eine Art Testament oder doch Essenz wie für Hemingway Der alte Mann und das Meer , dachte ich neulich. Und dann auch wieder ein total neuer Ansatz.
Wann mir beim Arbeiten die Idee kam, zu einem Rundumschlag auszuholen oder doch zu einer Art Abrechnung mit dem Verlag, weiß ich nicht mehr. Vielleicht reifte die Absicht schon im Flugzeug. Ulla las eine längere Unseld-Einführung zu meiner Person und Arbeit, hochwohllöblich und einfühlsam, Weiss las die für den Pariser Abend verfaßte Depesche von Handke, memoriert wurden andere Unseld-Bezeugungen, und dann ich. Ich sprach von Gebrauchsliteratur und deren Überpropagierung, vom Unterschied zwischen Konfektion und Haute Couture, zwischen Literaturware und Literatur. Ich hatte mir das alles überlegt und zurechtgelegt, ich sprach frei und nicht aggressiv. Ulla erhob sich und kam um den Tisch herum zu mir zu einer Umarmung, die Mitgefühl, wenn nicht Abbitte bedeuten mochte. Es schien niemand schockiert, überrascht bestimmt jedermann. Das Ganze endete in einem familienintimen Klima.
Und nun noch ein Wort zur Feier im Centre culturel suisse. Etwa 150 Gäste, der Saal gerammelt voll. Es begann mit Jean-Baptiste Malartres szenischer Aufführung der von ihm ausgewählten Forellen passagen, eine Überraschung auch für mich, der ich vorne neben dem an mich gekuschelten Igor saß, ich sage Überraschung, weil ich mir nicht so viel Intensität und szenische Stringenz erwartet hätte. Caroline Psyroukis waltete aufs charmanteste als Zeremonienmeisterin, eine liebliche Erscheinung auf der Bühne, die zum Weiteren überleitete, so zur Laudatio von Georges-Arthur Goldschmidt, der seine Betroffenheit von Nizon-Lektüren mit derjenigen von Rousseau, Karl Philipp Moritz und Kafka verglich.
Danach Interventionen von Derivière, Diane Meur und dem von der römischen Villa Medici angereisten Arno Bertina. Abschlußrede von Botschafter François Nordmann. Die fühlig-feurige Geburtstagsdepesche von Handke, von Peter St. Jungk vorgelesen, nicht zu vergessen. Auch dies eine Überraschung. Und meine Verdankungen. »Buffet dinatoire« im oberen Ausstellungssaal bei Tangomusik. Das Ganze von »Sorg Consulting« organisiert und auf die Beine gestellt. Dieter Bachmann aus Italien angereist, der Getreue, viele Freunde, auch Journalisten, auch Botschaft, auch Schweizer Kolonie. Die Kinder Valérie und Valentin nicht zu vergessen. Alles ganz ohne Schatten und Mißton.
21. Februar 2005, Paris
Heute schnell aus alter Gewohnheit oder aber aus einem tiefen Bedürfnis, weil Entbehren, mit dem 48er – und danach 85er Bus hoch nach Barbès gefahren, um bei ED/épicier Einkäufe zu tätigen, es war ein Vorwand, die Fahrt und die Gegend fehlten mir. Und wie ich die Häuser und den von den Pariser Mauern erfundenen wolkigen, ja geradezu mit wolkigem Mienenspiel verführenden Himmel, die Bäume, Trottoire mit Augen verschlang: Da sagte ich mir, ja, ich eigne sie mir täglich physisch an, die geliebte Stadt, ich reiße sie an mich, verschlinge sie.
Neulich einmal, es war im Zusammenhang mit Todesgedanken, erinnerte ich mich, daß mich bei Armin Kessers Tod Mitte der sechziger Jahre weniger die Frage nach einem Leben nach dem Tode als die Vorstellung, daß dieses wunderbare, einmalige Wissen um Welt und
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