Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
Elisabeths Schrumpfen nicht nur in körperlicher, sondern auch in geistiger Hinsicht zusammen, es ist ja schon fast ein Verschwinden im Raume. Sie ist bis auf die Knochen abgemagert, die einstige Rundliche, die Hans deswegen Nockerl genannt und gerufen hatte, der Kopf ein Vogelkopf ohne Wangenweichheit, die Haut fein gefältelt und plissiert, die Augen groß und schwarz, manchmal erinnerte mich das Gesicht an Virginia Woolf, wohl der vogelartigen hohlwangigen Großäugigkeit wegen. Ich denke, Elisabeth ißt fast nichts mehr, sie sagte ja auch beim Verzehren der von mir mitgebrachten Waadtländer Würste, alles schmecke nach Papier, sie scheint den Geschmackssinn verloren zu haben sowie weitgehend das Gedächtnis, zumindest das Kurzzeitgedächtnis, alles Reduktionen und Aspekte des Schrumpfens und mit dem Schrumpfen zusammengehend eine Art Verlorenheit im Raume; der fragende Gesichtausdruck der Herumirrenden, sie ist nicht einfach verwirrt, sondern verirrt, wenn sie anderseits, zum Beispiel in bezug auf das Katzenschicksal, auf Ulan und vor allem das unausweichlich bevorstehende Sterben des über zwanzigjährigen Siamesen, nicht nur vernünftig, sondern luzid sprechen kann. Zum andern drückt sich beim Wortesuchen oder eben in diesem fragenden Gesichtsausdruck das Schwinden der Anhaltspunkte und damit der Orientierung schlechthin aus. Und aus all diesen Gründen wirkte das Haus so leer und unbewohnt. E. gibt vor, Hans sei eben gerade nicht da, sondern wie üblich am Herumstreunen, sie spricht immer von »uns«, weiß dabei aber schon, daß Hans tot und begraben ist, denn manchmal kommt blitzschnell in einer Stimme wie von einem Kind die Bemerkung, er sei ja nicht mehr da, doch gleich darauf ist sie wieder in ihrer eingebildeten Wirklichkeit.
Aber das Kaminfeuer brannte, und immerzu hat sie nachgelegt, große gute Scheiter, die sie in Scheiterhaufen vor dem Haus hat und zum Trocknen nach innen bringt. Das Cheminéefeuer loderte, und Ulan legte sich auf die Steinstufe vor dem Kamin in nächster Nähe der Hitze, und ich habe auf der an der Wand unter den Bildern entlanglaufenden Bank geschlafen, von der Hans, ehe sie ihn zum Sterben in ein Krankenhaus schafften, so gut wie nicht mehr aufgestanden ist, er schien sich nicht mehr recht bewegen zu können.
Und sonst war alles noch da, jedoch so da wie in zum Überwintern oder Übersommern verlassenen, gewissermaßen in Tiefschlaf versetzten Häusern und Wohnungen. Und ich mußte an den Lebensrummel denken, der sich in diesem Haus mit den unzähligen Gästen, von denen man einige überhaupt nicht kannte, abgespielt hatte, an Diskussionen, Gelagen, Liebeleien, Überraschungen, Gastlichkeit und Begegnungsfreiheit, an Freiheiten überhaupt; ich dachte an die Zeit, da ich in diesem Haus den Stolz schrieb, und an jene andere, als ich zusammen mit Elisabeth meine Liebesvergiftung und deren Konsequenzen zu verstehen suchte, ich dachte an die eigentlich wunderbare Vorzugsstellung, die ich als Bewunderter oder besser als eine Art auserwähltes Wesen genießen durfte, von Elisabeths unbedingtem Glauben an mich getragen. Und natürlich war ich damals noch jung und entsprechend von Verlockungen Erwartungen Ungeduld ans Leben und besonders ans Künftige gefesselt, im Grunde war ich davon überzeugt, daß mir das Leben das Wunderbarste schuldete. Und in diesem Haus auf dem Lande, wo ich nicht nur zum Pferdewechseln unterkam, sondern wo die aus lauter Glauben gefestigte Burg meiner harrte, konnte ich, je nachdem, mich erholen oder aufmöbeln, isolieren oder hinreißen lassen, das Haus war die Garantie der verlängerten Jugend und entsprechender Guthaben. Und nun ist das Haus ausgehöhlt. Und Elisabeth wie eine dunkle Dohle darin zusammen mit dem uralten Kater.
2005
20. Februar 2005, Paris
Ich schreibe in meiner Wohnung in der Rue Saint-Honoré, an meinem aus dem Atelier in den ehemaligen Schlafraum verpflanzten weißen Schreibtisch. Ja, vor kurzem erst fand die Räumung des Ateliers, die Schlüsselübergabe bei den Notaren, das heißt der endgültige Verkauf statt; und nun bin ich aus der zunehmend geliebten Gegend der Butte Montmartre mitsamt Rue Lepic und Place und Rue des Abbesses, aber auch aus der Gegend um die Avenue Junot und Rue Caulaincourt etc. ausgestoßen und verbannt, diese andere Seite meines Alltags mitsamt den verschiedenen Anfahrten und Anmärschen zum Arbeitsplatz besteht nun nicht mehr, das »Doppelleben« ist hin. Ich wollte vor dem Auszug unbedingt noch
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