Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
wirken kann. Die Story ist trivial, es geht um die Machtergreifung im Drogengeschäft, jenseits von Gut und Böse, um eine Feldherrngenialität, es ist nicht anders als bei einem Napoleon, die alte Geschichte, und die Pfade sind mit Leichen gepflastert. Ferrara ist nicht allzuweit von einem David Lynch, nur satanischer. Erstaunlich das Umschlagen von Grauenhaftigkeit in künstlerische Sieghaftigkeit, der Kinogänger bleibt offenen Mundes dasitzen und hat das Gefühl, der Erschaffung der Welt beizuwohnen.
Was nun den künstlerisch nicht gleichwertigen Karlson betrifft, so finde ich das Geschehen ganz wunderbar, wohl hauptsächlich darum, weil mir die Hauptfigur nahesteht, ein Gambler, ein mürrischer, gutmütig-gefährlicher Bursche – mit Kriegserfahrung. Unser Spieler macht sich auf zu einem privaten »Turnier« in Las Vegas, einer Runde mit professionellen Kartenspielern aus New York, und er hofft natürlich, einen Hit zu landen, es geht um hohe und höchste Einsätze; was denn auch gelingt, unser Gambler kehrt im roten Sportwagen nachts zurück mit einem Koffer gerammelt voller Banknoten wie nach einem Banküberfall; nur daß er unterwegs in eine Falle gerät, beschossen und ausgeraubt wird und, kaum in der eigenen Garage eingefahren, von einem Sheriff empfangen, gefilzt, bedroht und, da er sich wehrt, in eine erbarmungslose Schlägerei verwickelt wird, bei welcher schlußendlich der Polizist auf der Strecke bleibt, und nun ist unser Gambler ein Polizistenmörder.
Doch ist das alles nicht sonderlich wichtig, was zählt und die Handlung mit Spannung auflädt, ist das über den friedfertigen Gambler unverständlich hereinbrechende, bis zuletzt undurchschaubare Verhängnis der mörderischen Verfolgung, ist diese absurde Menschenjagd, ist andererseits die Verwandlung eines Spielers in einen nach Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit, natürlich auch Rache lodernden Einzelkämpfer, es ist im Grunde der in den amerikanischen Mittelwesten der siebziger Jahre verpflanzte Michael Kohlhaas, so etwas. Das Atembenehmende rührt aus dem Umkippen einer sympathisch gemütlichen Existenz in eine Art unbegreiflichen Hiroshimas.
Das Theater hat mich immer eher kalt gelassen, weil mir die Schauspieler in ihrer deklamatorischen Aufsagerei und Gebärdik unnatürlich, wenn nicht betrügerisch vorkamen. Dahingegen das Kino mit seiner vielstöckigen und vielschichtigen Wirklichkeitsvortäuschung, die magisch verdichtete Illusion. Ja, ich habe mich der Traumfabrik ergeben, der Totale, dem Gesamtkunstwerk, in welchem die Story zur Anschauung gelangte und zum umwerfenden Erlebnis wurde.
16. Oktober 2005, Paris
Weiß der Himmel, warum ich derart untätig, wenn nicht überhaupt eingeschlafen bin, ich kriege nichts vom Tisch, ich notiere nicht einmal mehr, nur wenn ich gefordert bin durch Lesungen oder wie neulich durch die einstündige TV-Sendung bei Arte (mit Laure Adler), wache ich kurz auf aus meiner Lethargie. Vielleicht starre ich innerlich gebannt auf das Geschick der Forelle , in Deutschland haben sich die großen Zeitungen noch nicht dazu geäußert, in der Schweiz teilweise, was erwarte ich mir von dem mir so lieben Letztling? Bei den Lesungen und in privaten Zuschriften herrscht Begeisterung. Irgendwie lebe ich in Wartestellung, im »Bereitschaftslokal« bis zu den jeweiligen Aufbrüchen zu Öffentlichkeitsauftritten. Nächste Woche Biel, übernächste Woche Ravensburg, Wien, Frankfurt …
Bisher immer großer Zulauf, so auch in Zürich in dem der Gemüsebrücke gegenüberliegenden Literaturhaus, eingeführt durch Werner Morlang. Besuch bei Marianne an der Strehlgasse. Untergebracht im Hotel Kindli, zwei Schritte von dem einstigen Rollengasse-Domizil. Lang ists her.
Muß mir schnell überlegen, was es mit der verhältnismäßigen »Ernüchterung« beim Schwellenübertritt von Frankreich nach Deutschland auf sich hat. Früher nannte ich es den Eintritt in ein Werktagsland, wohl im Unterschied zu dem in Frankreich und Italien permanenten Fest des Lebens.
Ich empfinde in deutschen Landen immer eine dünnere Luft, nicht entseelt, aber entfettet , entzogen ist das Lebensschmieröl, verarmt, eine Art Magerluft, kein Begehren in der Luft, kein Glücksversprechen, kein Erotikum, das dich in die Zirkulation aufnähme, kein Überschwang, es ist der Ernst des Lebens, es ist möglicherweise der beinerne Goodwill oder eine Art verklemmt-verdrängte Moraldiktatur, die Pflicht, die den Ton angeben oder simpler ausgedrückt:
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