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Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
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Plätze betrifft, zu welchen ich mich unterm Thema ERSTLING für eine Berliner Zeitschrift mit Namen Lose Blätter äußern sollte, fällt mir ein, daß das in meinen heutigen Augen leicht »Landwirtschaftliche« oder (anders gesagt) Dampfwolkige, daß ein gewisser Überhöhungseifer, Rundungswille, Glaubensfanfarenton – ich meine etwas Unglaubwürdiges, den Dämpfer – daher rühren, daß ich diese Kurzprosa, Skizzen oder auch nur Fingerübungen als ein in einem bürgerlichen Korsett Gefesselter mit Beruf Museumsassistent und Zivilstand Familienvater schrieb und nicht als Künstler. Sie sind im übrigen alles anders als impressionistisch.
    »Schatten auf Rasen« und »Ekklesia ländlich« sind am Rande des Surrealistischen, letzteres mit Ausflügen ins Groteske, »Flugmeeting am Sonntag vormittag« und »Wunschplatz Friseursalon« sind mit einem existentialistischen Hauch versehen oder eingetuscht (?), »Frau Leben« ist schon fast beschämend, nämlich programmatisch optimistisch. Oder täusche ich mich?
    Alles ist Antritt. Alles ist Ansage. Und dennoch sollte dieses erste kleine Buch vor allem eine Stilprobe sein. Das geknebelte Ich und der Stilwille. Erst als ich mich aus den Knebelungen freimachte, in Rom, und alles mögliche über den Haufen warf und mich aussetzte und einen Mund und eine Nase voll Künstlerleben und entsprechende Freiheit schnappte, wurde das Egotistische und Egomanische und überhaupt die Entdeckung der Größe Ich glaubhaft. Doch um dieses Ich schriftlich unverschämt am Nacken zu packen und auf der Maschine hinzurattern, bedurfte es einer psychischen Aufladung (der Batterie) und einer (existentiellen) Notlage, und beides verschaffte ich mir in Barcelona in und mit der Liebesgeschichte mit Antonita und dem daraus folgenden bürgerlichen Trümmerhaufen. Und damit war die Voraussetzung für die Künstlerfreiheit gegeben.
    Ja, Richard Stange hatte recht, wenn er mir in puncto Die gleitenden Plätze vorwarf, ich habe nicht die Dinge an sich, nicht das, was in meinem Sinne Leben heißen möge, sondern einzig deren Widerspiegelung in einer Gefühlswolke versprachlicht. Stange war Kritiker und Theaterschreiber und eine Art gescheiterte Existenz (als Schreibender), doch ein blitzgescheiter und boshafter Richter in Basel. Womöglich auch Trinker. Sein Einspruch ist in mir steckengeblieben trotz der Lobgesänge von seiten Frischs, Ingeborg Bachmanns, Carl Seeligs und Armin Kessers.

    27. Januar 2006, Paris
     
    Daß Höhlu nicht mehr ist. Er liegt in Beckenried begraben. Möchte sein Grab aufsuchen, möchte mich nach seinem Sterben erkundigen. Wir waren als Schüler ein Brüderpaar. Wir teilten den Traum des jugendlichen Lebensantritts, wenn möglich als Künstler. Oder wir träumten den Traum vom großen Abenteuer, Welteroberung, Liebestribut. Wir wuchsen beide nur halb behütet heran. Seine Eltern waren Diplomaten im Ausland, mein Vater war tot, anstelle einer Familie die Studentenpension, das Frauenhaus. Neulich in Genf dachte ich an unsere Radfahrt zu seiner Genfer Tante, die wir radelnd Tante Knarke/Knarke nannten. Sie wohnte nobel in der Genfer Altstadt, wo sie uns beherbergte. Hohl kam aus einer Art Oberklasse, ich aus unklaren Verhältnissen. Er kannte keine Geldsorgen, er hatte seinen Monatswechsel; ich verdiente mir mein Taschengeld mit Freizeit- und Ferienjobs. Beide heirateten wir früh, beide als Studenten. Er wurde wie der Vater Diplomat, später Botschafter wie jener. Ich studierte als Werkstudent und verlor nie die innere Gewißheit oder den tiefen Wunsch nach Dichterleben aus den Augen, bei allen Beschwerungen nie. Ich diente mich in harten Anläufen an meine Sache heran. In seinen Augen mochte es aussehen, als nähme ich das verflixte Kreuz auf mich. Während er ein heimlicher Schreiberling blieb, neben seiner Karriere, die ihn in gesellschaftliche Kreise entführte, die mir suspekt waren. Irgendwie mochte es so aussehen, als föchte ich für uns beide den Kampf aus. Wir entfernten uns und blieben innerlich unverbrüchlich geeint. Geeint? Ich nahm ihm sein Blendertum übel, das ja nur tiefe Konflikte überglänzte. Oder verbarg. Sein Gelächter übertönte und kaschierte etwas wie Verrat. Das war viel später. In der Schule, als wir uns der Matura und dem Eintritt ins Freie näherten, teilten wir dasselbe Wünschen, dasselbe Großhabenwollen des Lebens. Er bot mir in meinen klandestinen Verunsicherungen Schutz an. Ich war ausgesetzt, er war ein Prätendent mit Absicherungen. Wir

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