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Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
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wenig Lebensfreude, die dich anspränge, natürlich auch kein entsprechendes Kommunizieren, Fraternisieren, bestimmt nicht auf der Ebene des Nur-Menschlichen, das Alltägliche hat nichts Aufreizendes, nichts Romanverdächtiges, nichts Filmhaftes, vor allem nichts Verführerisches, aber auch nicht das in den lateinischen Ländern mitschwingende leise Tragische, das versöhnlich stimmt und den Jahrmarktskehrreim beisteuert. Es ist verdammt wenig Anruf in der Luft und schon gar keine Einladung einzutreten in den großen Roman und Reigen, wie es in Paris der Fall ist. Und vielleicht sogar noch in der französischen Provinz; was fehlt, ist der Leichtsinn oder das Aroma der alles versöhnlich einnebelnden großen Illusion. Statt dessen Tatsachen. Kein Lied überm Land, das heiligt und feiert, hätte Herr Rilke bemerkt. Früher der Marschschritt.

    3. Dezember 2005, Paris
     
    Zur mehrwöchigen Autoeinäscherei (mehrere Tausend Wagen) und den dazugehörigen Gewaltausbrüchen der Banlieue-Jugend in ganz Frankreich, die Wochen dauerten und sich – wahllos! – gegen Polizei Geschäfte Pompiers Autobusse Kindergärten Schulen Kirchen etc. richteten und als Intifada oder auch Stadtguerilla apostrophiert wurden und Regierung, Politiker, Soziologen, Urbanisten und natürlich Polizei und Justiz in Atem hielten (bis an die Grenze des Gespensts eines Bürgerkriegs) und alles in allem das ungelöste Problem der INTEGRATION an den Tag und aufs Tapet brachten, weil diese Vorstadtjugend ja vorwiegend aus den Abkömmlingen der aus Nord- und Schwarzafrika eingewanderten Farbigen bestand, geborenen Franzosen oder Söhnen und Töchtern der Republik, wir Chirac es in seiner Fernsehansprache an die Nation nannte, die sehr lange auf sich warten ließ, fällt mir folgendes im Rückblick ein: Es war keine organisierte Revolution, es gab keine politischen Forderungen, es war ein Flächenbrand, fast schon eine Naturkatastrophe, und zwar aus Gründen einer nicht weiter aushaltbaren Erniedrigung, Respektlosigkeit, das Ganze war ja mehr oder weniger durch Sarkozys beleidigende Worte des Gesindels (Racaille) provoziert worden. Im Grunde ist es die Antwort auf den tiefverwurzelten Rassismus, den die »richtigen« Franzosen den in gewissermaßen rechtlosen Zonen der Vorstädte zusammengepferchten jugendlichen Sprößlingen ehemaliger Eingeborener aus den Kolonien entgegenbringen. Man muß sich das vorstellen: Aus den Kolonien hatte man in den beiden Weltkriegen das Kanonenfutter rekrutiert und nach dem verlorenen Algerienkrieg Arbeitskräfte, eigentlich Handlanger für den Wiederaufbau. Diese Massen brachte man in den gigantischen Blöcken und Türmen der Vorstädte unter, in billigen Sozialwohnungen, Ghettos, sagt man heute dazu, und das waren sie auch, denn diese »niedrigeren« Mitmenschen wollte man natürlich nicht wirklich sicht- und hör- und riechbar unter sich haben, nicht Leute, die in den Wohnungen ihre Hühner schächten und in den Betsälen gegen Mekka gerichtet Allah anbeteten und um Ramadan die Schafe ausbluten ließen; es waren ja vorwiegend Analphabeten, arme Dorf- und Wüstenbewohner, Nichtzivilisierte. Und sie hielten still und machten sich unbemerkbar, wenn sie in den Städten an ihren Arbeitsplätzen schufteten, sie lebten in einer Schamhaltung, den Blick sehnsuchtsvoll in die verlassene Heimat mit ihren angestammten Bräuchen gerichtet, sie waren nicht hergekommen, um aufzusteigen, sondern um zu überleben, weil es zu Hause nichts gab, keine Arbeit, kein Überleben. Und mit der immer vehementeren Wirtschaftskrise, der totalen Automatisierung der Produktionsmittel, dem galoppierenden Liberalismus und der Globalisierung wurden große Teile dieser Fremdarbeiter, die zu Teilen schon Jahrzehnte in Frankreich lebten und zu einem gewissen Prozentsatz auch den französischen Paß hatten, arbeitslos, so verwandelten sich diese Erniedrigten in »Unberührbare«. Und deren Kinder wuchsen auf der Straße auf, weil daheim kein Platz und nur Not und Beengung war, sie konnten in der Schule nicht mithalten, sie blieben ihrerseits mehr oder weniger Analphabeten, organisierten sich bandenmäßig und vor allem kriminell, hatten einen aus amerikanischen Filmen geborgten aggressiven Look und sprachen eine aus Wortverdrehungen und mit fremden Lehnwörtern gespickte Gaunersprache, dealten, stahlen, stahlen auch Autos und hielten Rennen, Rodeos ab, schlugen sich mit der Polizei und haßten alles, was nach französischem wohlanständigen Nationalismus und

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