Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
Verheißung – wovon? Ich sagte später zu Valérie, die von der Frau nicht Notiz genommen hatte: Es ist ja viel mehr als Sexappeal, wenn es auch von ferne in das Bild von Amors Pfeil paßt. Es ist Bezauberung, Schönheit, Schönheitsanfall; Schmerz des Unwiederbringlichen (gehört auch dazu); es ist Einladung – wohin? zur Einschiffung nach Cythera? Liebesversprechen, ja. Doch zielt das Versprechen weit über die Lust hinaus, es zielt mitten ins Herz des Allerschönsten, des Unausdenkbaren. Stillung aller Wünsche, ewigen Friedens. Früher hieß es: vom Wege abkommen und hinter dem Glück herlaufen. Imperativ. Wobei mir bewußt war, daß ich in die Wolke der Illusion zu tauchen im Begriffe stand.
Und doch war der Antrieb von Beseligung eingefärbt. Die Verheißung das Land der Liebe. Ja, an der Tramhaltestelle nicht weniger als die Liebe in Person. Die Einladung – ins Land der Liebe.
Ist es nicht verwunderlich, daß derlei Blitzeinschlag wenn überhaupt, dann nur in kosmischer Zeitrechnung, will sagen Seltenheit geschieht? Verwunderlich oder lächerlich. Und dennoch: Da stand sie. Und die Depesche war eingetroffen, wie es früher für mich hieß. Valérie hatte auf meine Bemerkung den zu meiner Verwunderung präzisesten und denkbar vollständigsten Kommentar. Und diese Aufschreibung ist nichts im Vergleich zum Gewesenen.
3. September 2005, Paris
Vor einer Woche – Samstag, 27. August – aus St. Petersburg zurück. Am Montag bereits die große Forellen -Lesung, den Stapellauf des neuen Buches, vor Hunderten von Zuhörern abgehalten anläßlich des Weltkongresses der Germanisten in Paris. Triumphal. Das Buch ist ein Vorlesevergnügen erster Güte. Nun werden bald die ersten Auslandlesungen losgehen und auch Arte mit Laure Adler hat sich für Oktober angesagt. Vor Rußland war das österreichische Fernsehen hier.
Da war ein hübscher Traum neulich mit einem schönen Topolino, auf den ich unerwarteterweise gestoßen bin, und zwar irgendwo im Umfeld eines Kongresses, an dem ich teilnahm, da stand er, und ich konnte nicht widerstehen einzusteigen und wegzufahren, nein, auf eine kleine Probefahrt wollte ich, um mir das Vergnügen des einstigen Fahr- und Geborgenheitsgefühls zu leisten, und wie ich den Wagen abzustellen und loszuwerden ins Auge faßte, wurde mir bewußt, daß ich einen, wenn auch nicht vorsätzlichen Diebstahl begangen hatte, der Eigentümer würde sein Kleinod von einem Fahrzeug nicht mehr vorfinden und zur Polizei laufen. Nicht das Delikt war es, was mich beunruhigte, sondern die Frage, wie ich, sollte ich ertappt werden, den Streich rechtfertigen könnte, wie sich erklären? auf einem Polizeiposten zum Beispiel? Ich sah mich schon in der Zwick-Mühle der Strafvollzugsbehörden, in einem bedrohlichen Labyrinth. Nun ich bin eben nicht ertappt worden. Glück gehabt.
Und etwas früher hatte mir von einer anderen kniffligen Situation geträumt. In einer fremden Wohnung, einmal mehr, bei fremden Leuten. Und da quetschte sich aus einem Möbel, wohl Schrank, ein urtümliches Vieh, halb Alligator, halb Bär, etwas zwischen Echse und Raubtier, mir unbekannt die Tierart, hervor und kam auf mich zu, stellte sich auf die Hinterbeine, pflanzte die Pfoten oder Klauen gegen meine Brust und ließ mich Gebiß und Schlund sehen; und ich begann den Kopf zu streicheln, während ich nach den anwesenden, jedoch mir fremden Leuten oder Gästen schielte in der Hoffnung, sie könnten eine Erklärung liefern oder eingreifen, z. B. mich von dem Biest befreien; und während ich um mich sah und mechanisch mit dem Streicheln fortfuhr, war natürlich die Angst da, was einträte, wenn ich aufhörte oder das Monster genug hatte. Was war der nächste Schritt? Würde ich gefressen werden? Das war die Frage.
Kein wirklicher Angsttraum. Jedenfalls hatte ich, gezwungenermaßen, mit einem Monster aus der (meiner?) Unterwelt Kontakt aufgenommen.
6. September 2005, Paris
Bin in letzter Zeit ziemlich viel im Kino gewesen, sowjetische Literaturverfilmungen, ganz wunderbar; daneben einen Krimi aus den siebziger Jahren, farbig, von Phil Karlson, den ich schon mal gesehen und jetzt beim Wiedersehen wiederum toll fand. Und gestern King of New York von Abel Ferrara, wie er seine Schauspieler erpreßt, wie ein Cassavetes; er hat vor allem diesen Hauptdarsteller, Christopher Walken, der die schon fast extraterrestrische Souveränität des Todesengels besitzt, eine hinreißende Leere im Gesicht, was auch wie Vision
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