Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
freizumachen. Was ja auch lebendig werden und vor allem auf die Welt kommen meint. In der Sprachmöglichkeit kam ich zu mir und – fast hätte ich gesagt – zu Gott. Es ist das Wirklichwerden durch sprachliches Wirklichmachen. Und darum geht es bei mir in erster Linie: um das Sagen von was immer, dies im Gegensatz zu Themen und Handlungen.
Ich sehe mich in einem van Goghschen Sinne unterwegs. Ich nenne es auch meine (Lebens-)Expedition. Aber wohin führt die Expedition, die Suche? Zum Wesentlichwerden? zum Entbrennen? Durchtönt- und Innesein? Ist mein ewiger Versuch anzukommen und auf die Welt zu kommen der Wunsch nach Erweckung? Nahe zu kommen – wem? Haben meine Bücher nur die Beschreibung dieser Übung oder Einstimmung zum Thema?
Die Sehnsucht wäre die EINHEIT REINHEIT? Und das durchlaufene Jammertal des Alltags wäre nur eine Art Staffage oder Abfall bei dieser Einübung? oder Lokalisierung? Verstofflichung … Sind meine Helden Glücksritter? Auf das Kreuz des Lebens genagelte Heilssüchtige. Die sich immer in den Schoß der Frau verkriechen müssen, ins Dunkel der vorgeburtlichen Umhüllung. Letzteres ist vorgegriffen. Was mich beschäftigt, hat mit Handke zu tun, und zwar im Sinne der Gemeinsamkeit wie radikalen Verschiedenheit.
Beide befinden wir uns auf einer Glücks- oder Gralssuche, bei beiden hat das Wort Wanderschaft oder Lebensunternehmung eine Bedeutung. Handke sehe ich als einen Lebensscholaren. Sein Grundmuster sind die Lehr- und Wanderjahre, sein Ziel die Ansichbringung des Lebens im Goetheschen Sinne, auch die dazugehörige Erhellung und Erweiterung, gespeist von einem reichen Fächer von Neugierde. Vervollkommnung gehört dazu. Aber auch Bildung. Lehr- und Wanderjahre, Bildungsromane. Gottfried Keller und mehr noch: Karl Philipp Moritz. Anton Reiser. Und hier komme ich ins Spiel. Hat nicht der überaus merkige Hugo Leber seinerzeit im Du meinen Canto einen Anton Reiser genannt? Geht es in meinen Texten um die sprachliche Beschwörung von Läuterung, worin die Höllenfahrten durch die niederen Verstecke des (unbekannten) Ich nicht ausgespart sind? Sind wir nicht beide durch ein Sehprogramm an die Welt gekettet? Der große Unterschied liegt im Epischen, bei Handke weitausholend, bei mir mit einer Art Verbot belegt. Er ist, wenigstens im Anspruch, der Vervollkommner. Ich bin der ewige Anfänger. Ich lechze nach Anfang und Verheißung. Bei uns beiden wären religiöse Unterströmungen zu bemerken oder anders gesagt Heiligkeitsanfänge. Bei mir ist Sünde im Spiel, er ist heidnischer. Stimmt das? Ich lege mich bei den Frauen mit der Sünde ins Bett. Die Sünde ist nicht das Unterleibliche, sondern eine Art tiefer Lieblosigkeit oder vielleicht auch Benutzung zum Ritt in die Tiefe. So etwas?
2007
22. Januar 2007, Paris
Bei meiner meist pauschalen und übertriebenen Abneigung gegen (schnieke) Erzählliteratur, die ich gleich als Unterhaltungsware zu schmähen die Tendenz habe (selbst wenn es sich denn um ein Buch wie Der menschliche Makel von Philip Roth handelte), pflege ich als Gegenargument oder Mangel die poetische Qualität und entsprechende Sprachmagie anzuführen, weil bei wirklich großer Literatur das Hinreißende, Berückende, das eigene Innere Umkrempelnde aus dieser Region oder Macht quillt, ja, und nun fühle ich mich als Leser in diese tiefe Richtigkeit versetzt und gleichzeitig in einen Erinnerungshof, der bis zu den Ursprüngen hin reicht; es ist wie Flügel, wie Brandung, es ist der uralte Chor, der begleitend anhebt; ich kann es nicht sagen, mag sein, daß es um eine Resonanz aus dem großen Buch der Bücher geht. Große Literatur, und mag sie noch so modern oder besser innovativ und infolgedessen auch ketzerisch sein, besitzt jenen Echoraum, ich will damit sagen, sie kommt von weither und aus der Tiefe der Zeit, wenn sie auch gegen die Mauer des Jetzt Sturm läuft. Wenn nicht, ist sie flach, unterhaltsame Kolportage oder Abwicklung und demgemäß geheimnislos. Alle bedeutenden modernen Bücher atmen diese Abkunft, oder täusche ich mich?
Meine Frage an mich selber: Warum erfassen meine Bücher kein größeres Publikum, was zum Teufel fehlt meiner Literatur? Das möchte ich gerne wissen. Zur Zeit feiert man Robert Walser, dessen paar Romane eben hundert Jahre alt geworden sind und dessen fünfzigster Todestag im letzten Jahr aufwendig und international begangen wurde, wobei man gleich anfügen muß, daß er bereits 1929 verstummt ist, es handelt sich um wirklich
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