Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
Einlieferung ins Spital, ein Akt der Zusammengehörigkeit. Alles sieht jetzt aus der riesigen Rückblickdistanz romantisch oder literarisch aus, ich wollte wohl zusammen mit Maria ein Romankapitel erleben. Es müßte allerdings mehr dahintergesteckt haben, sonst hätte ich viel früher aufgegeben. War es Liebe? Wohl kaum.
Wenn ich nun im Falle dieser Maria -Geschichte an den Niedergang denke, den Untergang, die Verluste …, dann sind wir ja schon wieder nah an der Selbstauslöschung, was meinen Stolz ebenso wie meinen Stolp antrieb und offensichtlich zu meinen Lebensleitfigurenvorstellungen zählt, warum nur müssen meine Helden, obwohl charmant und in einem oberflächlichen Sinne durchaus keine Lebens- und Kostverächter, immer von dieser Obsession durchdrungen sein? Und woher meine tief eingeborene Untreue? Warum war ich durch jede Passantin abzulenken, das heißt vom Weg, von Pflichten und Treueschwüren abzubringen, wenn nur die Depesche eingefallen war (wie ich es nenne)?
Wonach dürstete ich? Um das darauffolgende Ungenügen, um die Enttäuschung, die naturnotwendige, hernach gegen die Frau und Auslöserin des Traums zu wenden? Heißt Depesche in meinem Wortgebrauch Amors Pfeil? Wäre ja kitschig, wenn.
Es ist auf jeden Fall eine altmodische Geschichte. Das Ankommen der Familie in Rom im Februar, einem Februar zur Regenzeit, diluviale Verhältnisse. Die kleinen Kinder, die jungen oder blutjungen Eltern, die sich in eine Cafébar Nähe Institut, Via degli artisti, wagen, Neulinge, fast Einwanderer. Marco Albisetti hat uns, glaube ich, empfangen und irgendwie eingewiesen, auch in Grottaferrata eingewiesen. Grottaferrata die Familienunterkunft in einem Mietshäuschen, das ich über Michael Stettler, meinen Vorgesetzten am Museum, vermittelt bekommen habe. Er hat mich dann ja auch bald besucht, wir schauten uns in einem Kino Kapò an, und draußen, als wir uns trennten, der Direktor und sein ehemaliger Assistent, mußte ich mich erst an das (mir fremde) römische Tageslicht gewöhnen, um von der mit meiner Verpflanzung zusammenhängenden Verstörung ganz zu schweigen, weil die Verstörung durch das im Kino erlebte KZ vervielfacht war. Mir war, als sei ich dem KZ entkommen, wo war ich, wer war ich, und dann sah ich die junge Maria in ihrem roten Regenmantel vorbeigehen und lief ihr nach. Lief ihr nach, und nun kam das Albergo oder heißt es der Albergo?, das Hotelzimmer, in welchem wir uns nur kosten und nicht miteinander schliefen, wir traten in das von den Umarmungen vorgegaukelte Versprechen, ich in eine Verzauberung, ein, und da hätte die Episode enden müssen, denn mehr war nicht drin. Ich wäre ins Institut und zu meinem Vorhaben zurückgekehrt, wenn ich nur ein Vorhaben gehabt hätte, stattdessen hatte ich nur diese gefährliche Freizeit spendiert bekommen, den Römer Aufenthalt. Und ich trat in die Geschichte meiner tiefen Verunsicherung ein, es war ja die Gunst eines neuen Lebensanlaufs, den mir das Stipendium und das von Gönnern spendierte Geld offerierten, ich in Rom, in raren Momenten mit dem Hochgefühl eines Rastignac, eines Welteroberers. Nur hatte ich in Wirklichkeit keine Stelle, keine gesellschaftliche Position mehr, kein Einkommen, kein bürgerliches Weiterkommen, wenn erst das Romjahr abgelaufen und Stipendium verbraucht wären. Nur wußte ich es nicht. Ich war in Rom, um den Schriftsteller in mir ausschlüpfen zu lassen, war die Erwartung der in Bern Zurückgelassenen. Und ich hatte wohl eine fürchterliche Angst des Versagens, ich war der deklarierte Hochstapler. Und nun griff ich nach der ersten sich bietenden Möglichkeit einer anderen Lebenswahl, und zwar in Gestalt von Maria.
5. November 2006, Paris
Warum nannte ich manchmal die Maria-Geschichte eine Ohrfeige im Weltall? Das Weltall wäre das Undefinierbare eines Vorhandenseins; und die Ohrfeige wäre Strafe und Verhöhnung. Liegt hinter der Strafe die Sünde der Anmaßung? Wieso Sünde? Was wäre die Anmaßung? Nicht mit der Liebe spielen? Nicht unter dem Vorwand der Liebe eine Frau zur Mitspielerin auswählen? Was sollte gespielt werden? Mitspielerin im großen Spiel der Schriftstellerwerdung? Schmerz und Schmerzensgeld? Schmerz, um etwas zur Glut zu entfachen? Glut, um das Potential eines Schreibbeginns anzureichern? Oder besser einer Phönixsituation? Auferstehung aus der Asche? Mißbrauch – weil Mitspielerin Degradierung bedeutet? Und die Degradierung bis zum Opfer reichte. Ist nicht auch in der Forelle so etwas mit
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