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Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
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uralte Texte – wie erklärt sich diese seine heutige Aktualität? Brauchte das Publikum mehrere Generationen, um den Walser begreifen und verkraften zu können? Das Walsersche Nachleben übersteigt alles, was ich kenne. Bernhard hat auch ein beeindruckendes Nachleben, doch setzte es gleich nach seinem Tode ein; und zu Lebzeiten war er bereits ein gefeierter Autor. Walser hingegen war total vergessen, bereits zu Lebzeiten existierte er immer weniger, er war einigen wenigen ein Kuriosum. Mehr nicht. Soll mir einer diese Auferstehung erklären.
    Hätte nie gedacht, daß mich das Unberühmtsein schaffen könnte. Hätte nie damit gerechnet, daß ich untergehen oder vergessen oder zu den Akten gelegt werden könnte. Zwar bin ich, sieht man meine Generation (großzügig gerechnet) des näheren an, einer der wenigen, der noch mitspielt auf dem Spiel- oder Kampffeld der Bücherwaren, des Schreibgeschäfts. Was mit Ausnahme einiger Großschriftsteller meiner Altersschicht wie etwa Roth, die es zur Weltberühmtheit gebracht haben und sich vor den Pforten des Nobelpreistempels tummeln, so gut wie nicht mehr der Fall ist. Entsprechend schief sehe ich meinen Stellenwert im deutschen Verlag, nach wie vor kein »Durchbruch«, auch kein Adelstitel, weder Ruhm noch Geschäft; und ich sehe, wie sich die Verlage um die jungen Talente raufen und die jüngeren, bereits anerkannten Platzhalter warmhalten und wie sie alles, was nach Geschäft aussieht, mit Überangeboten reinzuholen versuchen, die Show, das heißt das Business muß ja weitergehen. Und da gibt es am Rande des Betriebs diesen in seine Ideen und Auffassungen verrannten Alten, zudem eingebildeten Alten, der eine Art lebender Mythos ist und darum eine offene Frage, ein noch nicht abbuchbares Haben oder Vermögen, Hände weg, und dennoch läßt er sich nicht abschieben. Der zu allen fürchterlichen, atemberaubenden Hoffnungen berechtigende Jungautor bin ich auch gewesen, kennen wir, man kann es darum nicht sonderlich wichtig nehmen, es entlockt mir ein sympathisierendes Blinzeln, mehr nicht.

    5. Februar 2007, Paris
     
    Ich frage mich, was es mit der (geschlechtlichen) Anziehung eigentlich auf sich hat. Ich spreche nicht von Maria, sondern von meiner eigenen Libidoangelegenheit ganz allgemein: von diesem sofortigen Feuerfangen beim Anblick einer reizenden, also wohl aufreizenden Schönen, was bei mir den sofortigen Wunsch nach leiblicher Eroberung nach sich zieht oder auslöst, Wunsch ist schlecht gesagt, geht es doch um das brennendste Begehren, wenn nicht um Verhexung bis zur augenblicklichen (mentalen) Hörigkeit, dachte immer, es handle sich um chemische Prozesse, es muss viel mehr hinzukommen, es ist Betörung, es ist ein lustvolles Erfassen der ganzen weiblichen Person bis in den kleinsten Winkel, und es ist gleichzeitig das wahnsinnigste Wünschen, mich diesem Leib zu vereinigen, Eroberungswahnsinn.
    Nun, mit Maria war alles ganz anders. Die Geschichte lief mir mitsamt dem Puder des Wunderbaren davon mitten in eine Realität hinein, die ich wohl nicht verkraften konnte. Aus diesem Grunde sprach ich immer von IMAGO, womit ich nicht nur ein Wahnbild, sondern eine Art Versuchung des heiligen Antonius meinte, eine »Himmelserscheinung«, mit welcher mein Kleinmut nicht umgehen konnte.
    Natürlich ist das Auseinanderklaffen zwischen den groß geöffneten Himmelstoren der Verheißung oder eben Versuchung und meiner Unfähigkeit, die dahintersteckende Realität des armen deklassierten Mädchens, das in dem Glimmer, aber auch in der Güte der Frau verborgen war, Teil der Thematik. Hier steckt das Thema der Desillusion, das auf einer anderen Ebene mit der Ausbeutung, wenn nicht dem irdischen Opfergang der niederen Maria zu tun hat. Denn die Himmelserscheinung auf die Ebene des Menschenretters (der ich hätte sein müssen) herunterzuziehen und solchermaßen sowohl zu materialisieren wie zu korrigieren, ging nun gar nicht mit meinen jugendlichen Intentionen und meinen zivilen Verhältnissen zusammen. So killte die soziale Realität den elitären Traum oder besser das jugendliche Traumguthaben eines privilegierten ausländischen Romstipendiaten. Ich könnte ja mal versuchen, den Stoff in Kapiteln aufzurollen und so von dem ersten romantischen Bild (der fabulierten Unschuld = Himmelserscheinung) auf den Boden der sozialen Trostlosigkeit herunterzubuchstabiern.

    18. Februar 2007, Paris
     
    So wie ich bei Untertauchen die Scheidung mit hineinnehmen und im Stolz die

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