Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
meiner harrenden Poetenlebens. In Rom aber hatte ich nun aber überhaupt noch keinen Halt, keinen inneren, keinen künstlerischen (weil noch ohne Feuertaufe), keinen geistigen, nur die Minutenplätzchen. Ich hatte den Mai 68 verpaßt, doch hatte ich 1950 auf meiner Initiationsfahrt nach Kalabrien etwas Beatnikhaftes praktiziert, wie immer, ich denke, daß der Krieg, auch wenn ich ihn nur aus einem kindlichen »Versteck« heraus erlebt hatte, in mir einen inneren Bombentrichter angerichtet hatte. War das die innere Leere, das Bodenlose, die es mit Jazz und Sex zu übertünchen, mit richtungsloser Agilität zu überspielen galt? Kam von daher die Empfänglichkeit für das Erlebnis der Sinnlosigkeit und, beruflich wie in gemeinschaftlichem Sinne, als Aussichtslosigkeit à la nausée?
Eine merkwürdige Paarung von Lustbereitschaft und Weltverlorenheit, Karrierenzurückweisung, Erlebnishunger und Melancholie. Vor allem war mir wohl das Vertrauen in die Kultur, in den kulturellen Sockel, verlorengegangen. Was suche ich eigentlich mit diesen flüchtigen Rekonstruktionsversuchen, Herleitungsrecherchen, wenn nicht die Verankerung der inneren Verfassung unseres Helden und Maria-Verliebten in einer historischen Bedingtheit. Und warum? Weil der Auschwitzfilm der ganzen Handlung Pate stand und damit der Krieg. Maria ein Kriegsopfer? Maria die Retterin? Maria Ambulanzfahrerin. War ich verwundet?
Die Studienkameraden sowie die Mitstipendiaten waren nicht verwundet, nichts hinderte sie daran, ihre berufliche Laufbahn anzutreten, nur in mir wogte die tiefe Lethargie, fast schon Amnesie, eine Verwüstung. Und ich klammerte mich an die Schiffbrüchige im glamourösen Gewand der Nightclub-Hostesse.
14. April 2007, Paris
Eben habe ich einen Helikopter ganz hoch in den Lüften stehen und drehen und vor allem knattern hören, und gleich stellte sich in meinem Wesen das Himmelsglück ein. Die Überwältigung durch Freiheitshimmelsfluten. Ich dachte, das Grundmuster meines Helden ist das Gehen, L´HOMME QUI MARCHE, nur weiß man nicht, wohin er geht. Ist es nicht seltsam, daß meine Helden immer große Vorbereitungen und hochgemute Entscheidungen treffen, um aufzubrechen, und, einmal auf der Reise, sich zurück und ins Papier verkriechen? Oder gleich zu den Frauen. War zum Beispiel damals in Ischia/Napoli, als der alte Dohrn mir vorschlug, mich einem fahrenden Feldscher in Sizilien zuzugesellen oder zu übergeben, mein Entschluß heimzukehren, nicht typisch? Das sizilianische Abenteuer wäre ein echter Aufbruch gewesen, ein möglicherweise lebenwendender. Statt dessen die Rückkehr. Dabei geschieht das Verzagen nicht aus Feigheit. Denn damals kurz nach dem Krieg in den untersten Stiefel Italiens, wo Giulianos Banden herrschten, aufzubrechen, ganz ohne Sicherheit, ohne wirkliche Mittel, ohne Sprachkenntnisse etc., war recht kühn. Daran mangelte es mir nicht. Es ist ja nur so, daß allzuviel Action, Handlung, Ereignis meinen Genuß am Ereignis oder Abenteuer wegfrißt, weil einfach keine Zeit zur Betrachtung bleibt und insofern das Geschehen wie nicht gehabt … Jedenfalls ist in dem merkwürdigen Gegensatz Aufbruchs- und Abenteuertrieb einerseits und Zurückhaltung, Zurücknahme, Bremse andererseits der teuflische Widerspruch meines Wesens ausgedrückt. Hang nach Selbstverschleuderung, Erfahrungssucht und Blockade, Immobilismus. Darum das Ziellose, darum die Frage: Wonach läuft mein Geher oder Marschierer oder Weltenbummler? Geht er nur so herum, um sich zu vergnügen und in Gang zu halten oder um etwas zu finden, wenn nicht gar zu erobern? An Mut gebricht es ihm keinesfalls.
4. Juli 2007, Paris
Wenn ich dieses Datum über das Blatt tippe oder setze, könnte mir schlecht werden beim Gedanken, daß ich bis anhin, sozusagen das ganze Jahr total unproduktiv habe verstreichen lassen, woran die Drohung des baldigen Auszugs aus der Wohnung ebenso wie der Rattenschwanz unerklärlicher Krankheitsanfechtungen, darunter eine bleierne Müdigkeit, Schwächung? beteiligt sein mögen. Doch nun wird sich das bald ändern, habe ich doch, wenn ich mich nicht irre, ein Schreibatelier in Aussicht und dies ganz in der Nähe der neuen Wohnung Rue Campagne Première; bei dem verdammten zähen Nichtstun bin ich seltsamerweise nie ganz in Verzweiflung gefallen, das bleierne Loch rubrizierte in meiner inneren Buchhaltung einfach als Arbeitsausfall oder so ähnlich.
Dies im Unterschied zu Peter Handke, der ja sein Produktionstempo neulich noch
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