Urlaub mit Papa
Mechthild noch tupfte, hatte Hannelore Klüppersberg meinen Vater bereits mit eisernem Griff am Oberarm gepackt.
»Mein lieber Heinz!« Es hörte sich fast wie Triumphgeheul an. »Wir haben bei uns noch ein Plätzchen frei, jetzt leisten Sie uns endlich mal Gesellschaft. Wir wollen ein paar hübsche Inselgeschichten hören.«
An den übrigen Tischen verstummten die Gespräche. Die anderen Gäste beobachteten meinen verdutzten Vater, der im Klammergriff einer überdimensionalen Strickbiene feststeckte.
»Ja, ähm, ich wollte nur…«
Emilys Kinderstimme unterbrach die Ruhe.
»Das ist Christines Papa, der fängt auch immer an. Aber er hat lustige Mützen.«
»Womit fange ich an?« Mein Vater hatte sich aus dem Griff lösen können. Ich beeilte mich, das Unheil abzuwenden.
»Ich habe den Zwillingen gesagt, dass du immer anfängst, schöne Geschichten zu erzählen, wenn mir langweilig ist.«
»Ach ja?« Mein Vater sah erst mich, dann die Kinder, dann die immer noch vor ihm stehende Frau Klüppersberg an. »Wieso wollen denn alle auf einmal schöne Geschichten von mir hören?«
Emily guckte ihn ernst an. »Nein, ich meine doch…«
»Emily, trink doch deinen Kakao. Frau Berg, haben Sie noch alles? Papa, setz dich doch, ich bringe dir gleich einen Kaffee.«
Ich musste hier Ordnung reinbringen, so viel Durcheinander vertrug mein Vater morgens nicht. Auf dem Weg zur Tür musste ich an Johann vorbei, der am Büfett stand. Er ließ mich durch, dabei spürte ich seine Hand auf meinem Rücken. Frau Weidemann-Zapek, die anscheinend einen Teller für meinen Vater zurechtmachte, beobachtete erst die Hand, dann mich und hob die Augenbrauen. Ich verharrte kurz und suchte meine zuckrige Stimme.
»Entschuldigung, Frau Weidemann-Zapek, mein Vater hasst Heringssalat.«
Dann ging ich in die Küche.
Nach und nach wurden die Gäste im Frühstücksraum weniger, die ersten hatten schon mit ihren Badetaschen die Pension verlassen, es war wieder ein Traumtag. Erstaunlicherweise hielt mein Vater es immer noch mit dem Damenduo aus. Von dem Tisch abgesehen, saß nur noch Johann da, trank den vierten Kaffee und las die ›Süddeutsche Zeitung‹.
Ich fing langsam an, das Büfett abzuräumen und versuchte unauffällig, dem Gespräch meines Vaters zu lauschen und, noch unauffälliger, Johann Thiess zu beobachten. Das Erste klappte nicht, weil die drei immer leiser wurden, je näher ich kam, das Zweite klappte nicht, weil ich mich von den Damen beobachtet fühlte. Schließlich faltete Johann seine Zeitung zusammen und stand auf. Er ging an mir vorbei und legte kurz die Hand auf meine Schulter.
»Bis bald.«
An der Tür drehte er sich noch einmal um, wandte sich an den letzten besetzten Tisch und sagte: »Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen.«
Das »Danke, junger Mann« kam von den Damen im Chor, mein Vater hatte es anscheinend nicht gehört, er gab keine Antwort.
Als ich in den Flur treten wollte, um einen letzten Blick auf Johann zu werfen, wurde ich fast von Kalli überrannt. Mit hochrotem Kopf und einem Affenzahn kam er um die Ecke, riss mich an sich und walzte mit mir in den Frühstücksraum. Seine Stimme überschlug sich.
»Wo ist dein Vater? Ach, da bist du ja. Heinz. Christine, es ist geschafft, jawohl, sie hat es grandios gemacht, es ist doch wunderbar, ich habe es doch gewusst, nein, nicht gewusst, aber mir fast gedacht. Es sieht bestimmt toll aus.«
Er drehte mich noch einmal und blieb dann atemlos stehen. Mein Vater sah mich an.
»Ich glaube nicht, dass er sich über Dorotheas Farbmischungen so freut. Oder?«
»Ich bin Opa.«
Kalli verschluckte sich und hustete. Ich klopfte ihm auf den Rücken, bis er sich beruhigte und wieder krächzen konnte.
»Ein Mädchen, Katharina hat ein Mädchen bekommen! Ich habe eine Enkelin! Gerade haben sie angerufen. Hanna lässt alle grüßen, ich soll eine Runde ausgeben. In der ›Haifischbar‹. Heute Abend. Ist das nicht herrlich?«
Frau Weidemann-Zapek klatschte entzückt in die Hände.
»Ja, herzlichen Glückwunsch. Und danke für die Einladung, wir nehmen gerne an, nicht wahr, Hannelore? So ein junger Opa, erstaunlich, das denkt man gar nicht.«
Sie lächelte strahlend in die Runde. Mein Vater stand auf und klopfte Kalli anerkennend auf den Rücken.
»Gut gemacht, alter Junge.«
Kalli guckte stolz. Ich drückte ihn ebenfalls. Frau Klüppersberg blieb zwar neben ihrer Freundin sitzen, rief aber fröhlich:
»Natürlich sind wir dabei. Da machen wir uns aber mal einen
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