Urlaub mit Papa
bequem auf einen Stuhl setzte. Marleen warf ihm einen schwer zu deutenden Blick zu, dann las sie vor:
PROMINENTER SYLTER GÄSTEFÜHRER HILFT NORDERNEY AUF DIE SPRÜNGE
Norderney. Einheimische und Urlauber haben sich in den letzten Tagen sicherlich schon gefragt, was die unermüdlichen Arbeiter und Hilfskräfte im ehemaligen Lokal ›Meerblick‹ eigentlich so treiben. Unsere Redaktion ist jetzt dem gut gehüteten Geheimnis auf die Spur gekommen. Unser Mitarbeiter GvM hatte gestern die große Freude, die Bekanntschaft von Heinz Schmidt zu machen, seines Zeichen einer der bekanntesten, wenn nicht sogar der bekannteste Syltkenner. »Natürlich kenne ich Sylt wie meine Westentasche«, erklärt uns der verschmitzt lächelnde Heinz, »und wer eine Insel kennt, versteht alle. So ist mir gleich klar geworden, was Norderney alles fehlt.« Der braun gebrannte und sehr jung wirkende Mittsiebziger zeigte unserem Redakteur GvM die Pläne. »Ich leite hier die Umbauarbeiten, die aus einer abgetakelter Kneipe eine Bar werden lassen, die selbst Sylter Ansprüchen genügen würde.«
Die Pläne zeigen elegante Sitzgruppen, die den schmierigen Tresen ersetzen sollen, da, wo abgeschrammte Esstische standen, werden die Gäste an Chrom und Glas sitzen, statt Blümchentapete entstehen Meergemälde, Wellen und Dünen in leidenschaftlichen Regenbogenfarben. »Ja«, sagt der Sylter, dessen stahlblaue Augen blitzen, »für die Wandmalerei haben wir die berühmte Hamburger Künstlerin Dorothea B. gewonnen, mit tuschenden Hausfrauen kann so was nicht funktionieren.«
Statt über billigsten Linoleum schreitet der Gast bald über satt glänzendes Schiffsparkett, statt Plastikblumen auf den Tischen wird es üppige Blumenbuketts geben. Auf die Frage nach den Kosten gibt sich der sympathische Mann bescheiden. »Über Geld spricht man nicht, auch nicht auf Sylt.« Er lächelt gewinnend und lädt die Redaktion zur Einweihung am kommenden Wochenende ein.
Bleibt die Frage nach dem Namen. Heinz Schmidt überlegt nicht lange: »Nein, ›Meerblick‹ geht natürlich nicht. Ich tendiere zu dem schönen Namen ›Herzmuschel‹, darüber werden wir aber noch im engen Kreis diskutieren.« Sprach’s und zwinkerte seiner schönen Tochter Christine zu, die ihren charmanten Vater nach Leibeskräften unterstützt. Die Redaktion wünscht gutes Gelingen und freut sich auf ein neues Highlight unserer schönen Insel.
GvM
Marleen knallte die Zeitung auf den Tisch und schlug mit der flachen Hand drauf, genau auf die Stelle, wo das Konterfei meines Vaters dem Leser fröhlich entgegenlächelte. Marleen fixierte den prominenten Inselkenner, der zufrieden auf seinem Stuhl saß.
»Schmieriger Tresen? Blümchentapeten? Abgeschrammte Esstische? Wer leitet hier den Umbau? Und zu allem Überfluss Herzmuschel? Sag mal, warst du gestern total betrunken?«
Mein Vater lächelte sie an. »Wie soll das denn hier heißen?«
Marleen schnappte nach Luft und brüllte fast. »Wie das heißen soll? ›De Vries‹ natürlich. Weil es nämlich mein Lokal ist, das hast du leider vergessen, zu erwähnen.«
Mein Vater überlegte. »Ja, ›de Vries‹ klingt elegant. Das ist gut. Wieso schreist du eigentlich so? Das Radio ist doch aus.«
Kalli las den Artikel noch einmal. »Das ist ein schönes Foto von dir, Heinz. Hat der das gestern mit der kleinen Kamera gemacht? Kannst du mal sehen.«
Onno wirkte beleidigt. »Wen meint der denn mit Hilfsarbeitern?«
Ich starrte immer noch fassungslos auf den Artikel, besonders auf die Stelle, wo der jugendliche Mittsiebziger seiner schönen Tochter zuzwinkert.
»Sag mal, was hast du diesem Meyer gezahlt, damit der so einen Schwachsinn schreibt?«
Jetzt war er entrüstet. »Was heißt hier Schwachsinn? Das ist eine großartige Werbung und zudem umsonst. Ich gebe die halbe Nacht Interviews, um Marleen umsonst in die Zeitung zu bringen, und ihr mäkelt nur rum. Macht es doch beim nächsten Mal selber.«
»Heinz!« Marleen war nicht zu beruhigen, sie hatte schon rote Flecken am Hals. »Das ist doch keine Werbung für mich, da steht doch nur Blödsinn drin. Das ›Meerblick‹ war überhaupt nicht abgetakelt, der Name der Bar stimmt nicht, meiner taucht gar nicht auf und… wieso eigentlich nicht?«
Heinz sah sie treuherzig an. »Wir waren uns nicht sicher, wie du dich schreibst. Und ein falsch geschriebener Name ist ja peinlich. Wir dachten, es geht auch so. Und jetzt ist es sowieso zu spät. Aber wir können ja Leserbriefe schreiben. Die sind
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