Urlaub mit Papa
unbemerkt in die Küche gefolgt.
»Wo ist denn dein Papa?«
»Du, der sitzt mit Kalli und Carsten im Hof und spielt Skat.«
»Mit Mütze?«
»Natürlich.«
Anna Berg stand jetzt auch hinter mir. »Emily, du hast hier nichts zu suchen, geh bitte zurück.« Sie wartete, bis ihre Tochter weg war, dann lächelte sie mich verlegen an. »Die beiden haben einen Narren an Ihrem Vater gefressen. Er hat ihnen gestern eine Geschichte erzählt, in der es um Möwen und Eier und einen Eierkönig ging, das hat die beiden schwer beeindruckt.«
»Eierkönig?«
Manchmal machte mein Vater mir Angst.
»Wenn es Ihrem Vater zu viel wird, soll er die beiden einfach wegschicken.«
»Ich habe überhaupt nicht mitbekommen, dass er sich mit Ihren Kindern unterhalten hat.«
Anna Berg war erstaunt. »Oh, doch. Seit wir hier sind, jeden Morgen. Sie warten schon immer auf ihn.«
»Das finde ich gut.« Ich drehte mich mit der vollen Teekanne zur Tür. »Er hat das ganz gern, so ein bisschen weibliche Bewunderung.«
Nachdem ich alle Tische abgeräumt hatte, ging ich wieder zu der Skatrunde hinaus. Der Tisch stand immer noch genau da, wo die Herren ihn hingestellt hatten, die jungen Handwerker gingen weiterhin um ihn herum.
»Na, Christine, hast du alle Gäste abgefüttert?« Kalli teilte die Karten aus. »Dein Vater verspielt übrigens gerade dein Erbe.«
Ich versuchte meinem Vater in die Karten zu sehen, er legte sie sofort umgedreht auf den Tisch.
»Was willst du, Kind? Ich muss mich konzentrieren.«
»Du wirst von zwei Damen vermisst.«
Er stöhnte leise. Carsten lachte.
»Tja, Heinz, du hättest die Sache mit der Brüderschaft doch ablehnen sollen. Mechthild war danach ja außer Rand und Band.«
»Ihr habt Brüderschaft getrunken?«
»Und anschließend Lambada getanzt.« Kalli musterte seine Karten. »Sie duzen sich jetzt, Hannelore, Mechthild und Heinz. Und hätte Hannelore nicht diesen furchtbaren Schluckauf bekommen, sie würden jetzt noch tanzen.«
Mein Vater schwieg betreten. Ich biss mir auf die Lippe.
»Mechthild hat deine Elchmütze auf.«
»Das war meine Beste. Die hat so einen schönen Schirm. Aber Mechthild hatte einen Sechserpasch.« Er sah sich um. »Hast du ihnen gesagt, wo wir sind?«
»Die Damen, die dich vermissen, sind viel jünger.«
»Jünger?« Er zog die Stirn kraus.
»Und dann kannst du dich noch nicht mal erinnern.« Carsten schüttelte den Kopf, »wenn mich junge Damen suchen würden, wüsste ich das.«
In diesem Moment tauchten Emily und Lena in der Tür zur Pension auf und ich winkte sie an den Tisch. Schüchtern lächelten sie Carsten und Kalli an und stellten sich neben meinen Vater.
Emily legte ihm die kleine Hand auf sein Knie.
»Die dicke Frau hat deine Mütze auf. Das sieht ganz doof aus.«
»Mama hat gesagt, wir dürfen uns auch eine Mütze kaufen. Du sollst das mit uns machen. Bitte.« Lena lehnte sich an das andere Knie.
Mein Vater machte ein ernstes Gesicht. »Ich soll mit? Na, dann wollen wir mal den allerbesten Mützenladen auf der Insel suchen. Ich brauche ja auch eine neue, weil ich meine Lieblingsmütze verspielt habe. Da könnt ihr mir beim Aussuchen helfen. Aber ihr müsst erst mal fragen.«
Die Mädchen waren begeistert. Emily hängte sich an seinen Arm.
»Und können wir dann noch zu den Möwen gehen und den Eierkönig suchen?«
Ich verstand nur Eierkönig. »Wer ist denn der Eierkönig?«
Mein Vater war entsetzt. »Christine, Lille Peer! Die Geschichte vom Eierkönig. Du vergisst auch alles, was ich dir jemals beigebracht habe.«
Auf dem Weg zurück in die Küche versuchte ich, die Geschichte zusammenzubringen. Lille Peer, eine alte Sylter Sagenfigur, sollte verhindern, dass Seeräuber und Ganoven die Möweneier klauten. Aber ihn ereilte ein böses Schicksal, denn die Ganoven, die nicht an die Möweneier kamen, raubten eines Tages seinen vierjährigen Sohn. Seine Frau und er waren furchtbar verzweifelt, wehklagten und litten und passten weiterhin auf die Eier auf. Jahrelang. Bis dann eines Tages die Wellen einen jungen Mann an den Strand spülten. Und weil Lille Peer und seine Frau so gute Menschen waren, retteten und pflegten sie ihn. Es wäre aber natürlich keine Sage, wenn das alles gewesen wäre. Nein, eines Morgens guckte Lille Peers Frau den jungen Mann mal genauer an und erkannte ein Muttermal. Und dieses Muttermal hatte nur ein Mensch auf dieser Welt. Und das war? Richtig, der geraubte Sohn.
Mein Vater hatte mir die Geschichte erzählt, als ich zehn war
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