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Urmel zieht zum Pol

Urmel zieht zum Pol

Titel: Urmel zieht zum Pol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Kruse
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Er ist nicht
unglücklich. Er liebt es, allein über die Höhen zu streichen, zu weiden, sich
niederzulassen, wo er will, und keine Verantwortung mehr zu tragen. So braucht
er nur noch seinen Gedanken nachzuhängen...«
    »Ein
Einsiedler, öfföff?«
    »So kannst
du es nennen. Jedenfalls ist er hier oben im Norden, im Reich der
Mitternachtssonne, manchem Geheimnis nahe.«
    »Frag ihn,
ob er meinen Papa oder meine Mama gekannt hat!« rief das Urmel.
    »Ach nein,
so alt ist er doch noch nicht!«
    Jetzt reckte
der Alte vom Nordberge sein Haupt mit dem wallenden Bart, bis seine Hörner den
Rücken berührten. Er röhrte dunkel — dann drehte er sich um und schritt davon.
    »Wie schade,
er geht schon, öfföff, ich fing gerade an, mich an ihn zu gewöhnen!«
    »Ja, er
geht!« sagte der Professor. »Aber nicht, um uns zu verlassen. Wir sollen ihm
folgen, er will uns etwas zeigen.«



Sie bekommen etwas zu sehen, was sie traurig macht
     
    Als er an
ihren Schritten hörte, daß sie ihm folgten, beschleunigte der Alte vom
Nordberge seine Gangart. Im Wind, der die Schneeflocken aufwirbelte, wehte sein
braunes zottiges Haar.
    Er führte
sie über den Hügel und auf der anderen Seite hinab, durch ein ödes Tal und
wieder bergauf. Entfernten sie sich auch nicht zu weit vom FLIEGENDEN HABAKUK?
Würden sie noch vor Einbruch der Nacht zurückkehren können? Doch schon auf der
nächsten Anhöhe verharrte das Tier. Es wirkte dort wie ein Stück Urgestein. Der
Alte vom Nordberge schaute sich um und machte eine Bewegung mit den Hörnern: Er
wies auf den Platz neben sich, auf einen Fleck graugrünen Grases zwischen
Schneeverwehungen.
    Der letzte,
der dort ankam, war Ping Pinguin. Mühsam hatte er sich vorangeschleppt — ein
schwankender Kobold. Jetzt atmete er heftig und krächzte: »Eine Stunde
Fußmarpf! Und wozu? Bloß um wieder von einem Berg ins Meer zu pfauen, nur
diesmal von der anderen Seite!«
    Der
Professor legte den Finger auf die Lippen. Stumm blickten sie in die Ebene zu
Füßen des Hügels. Dort war ein schmaler, zerklüfteter Uferstreifen. Grenzenlos
schien sich das Meer auszudehnen, sein Ende war nicht zu ahnen und nicht sein
Anfang. Hunderttausende von treibenden Eisschollen täuschten festes Land vor,
wanderten langsam, verschoben sich gegeneinander.
    »Ist es
nicht, als ob man hören könnte, wie die Ewigkeit die Zeit zermahlt?« murmelte
der Professor. Und Wutz fragte: »Wie Mehl in einer Mühle, öfföff? — Ich höre
aber nur das Knirschen der Eisblöcke.«
    Dann sagte
Tim Tintenklecks: »Das Land wandert...« Ja, von den entfernten Höhen herab
bewegten sich bräunliche Felder, ähnlich wie Lava, die an den Hängen eines
Vulkans herabfließt, oder wie Schneebretter, die sich im Frühjahr lösen. Es
war, als habe der Boden Füße bekommen — Tausende und aber Tausende. Und der
unablässige Strom mündete im Meer, wo er unterging.

    »Sind das
Steine, die laufen?« fragte das Urmel. Der Professor schwieg. Er war ergriffen
von diesem Anblick, von dem lebendigen Strom, von dem Gletscherfluß aus
Geschöpfen.
    Der Alte vom
Nordberge röhrte dumpf, klagend.
    Wutz
erschauerte. »Was ist das, Professor, öfföff— ich fühle mich so flau im Magen!«
    »Ein
erschütterndes Drama!« murmelte Habakuk Tibatong. »Was ihr seht, sind lustige,
possierliche Nagetiere mit braunem Pelz, Lemminge — unzählbar viele...«
    »Aber warum
stürzen sie sich ins Wasser? Ich sehe sie nirgends wieder auftauchen!« fragte
Ping Pinguin.
    »Sie gehen
freiwillig ins Meer, in den Tod.«
    »Aber warum
denn, öfföff?« Wutz zitterte am ganzen Körper, und zwar nicht nur vor Kälte.
Tausende von Tieren... Da war jeder Gedanke, sie nach Titiwu mitzunehmen, von
vornherein sinnlos.
    »Sie machen
Platz für andere, Jüngere!« sagte der Professor. »Sie haben sich zu sehr
vermehrt. Das ist es, was mir der Moschusochse zeigen wollte. Versteht ihr? Er
fragt mich, ob es nicht besser sei, seine Tage in selbstgewählter Einsamkeit zu
beschließen, so wie er — sich als ein Teil des Himmels und ein Teil der Erde zu
fühlen — , als sich ins Meer zu stürzen, weil die Erde nicht Platz und Nahrung
für alle hat. Deshalb — so meint er — ist er zufrieden mit seinem Schicksal.
Das ist seine Erkenntnis, seine Weisheit!«
    »So viele
Urmels möchte ich auch nicht«, stellte die Nilpferdschnauze unter der
Pelzkapuze bekümmert fest.
    Und Ping
Pinguin sagte, nur um etwas Trostreiches zu bemerken: »Jedenfalls will der
zottige Kerl nicht zu uns nach

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