Utopia 2050
kann sprechen, Rico«, sagte Et. »Also kann er mir auch eine Antwort erteilen.«
»Sie sollen sie haben«, sagte der Schwarzgekleidete. Er berührte eine Kontaktfläche neben der Tür. Ein hoher Summton drang durch den Korridor. Die Tür öffnete sich nochmals, und zwei andere Bewaffnete in schwarzer Kleidung traten heraus. Weiter entfernt im Korridor kamen drei Männer aus einer anderen Tür, und Et hörte, wie sich hinter ihm, zwischen ihm und seiner Gruppe und dem Lift, eine dritte Tür auf tat. Die Leibwächter eilten vorwärts. Im nächsten Moment war Et von ihnen abgeschirmt.
»Erlauben Sie, Mr. Ho?« Ohne die Antwort abzuwarten, ergriff Rico Ets Handgelenk, zog es ans Kinn und drückte den Knopf des Kommunikators. Über dem Zifferblatt erschien das kleine holographische Bild. »Rico Erm spricht für Etter Ho. Akutes Sicherheitsproblem.« Die Schwarzgekleideten verharrten. Rico gab Ets Hand frei und trat mit einer solchen Gelassenheit vor, wie Et sie ihm nicht zugetraut hatte. »Mr. Ho steht nunmehr in direktem Kontakt mit dem Weltkonzil. Was Sie von jetzt an unternehmen, tun Sie auf eigenes Risiko.«
Die Schwarzgekleideten starrten ihn an, rührten sich jedoch nicht. Et, regelrecht trunken vom Adrenalinstoß, drängte sich durch die Leibwächter, ging an Rico und den Männern in Schwarz vorbei und durch die Tür, aus der der erste Mann den Korridor betreten hatte. Er gelangte auf eine Art von Balkon mit Sitzplätzen, von dem man in eine Turnhalle hinabblickte. Ein paar Zuschauer saßen über Bildschirme gebeugt, die ihnen Nahaufnahmen vom Treiben in der Halle vermittelten. Unten lieferten sich zwei Männer einen Fechtkampf.
Alles machte auf den ersten Blick einen so harmlosen Eindruck, daß Et sich schon insgeheim einen Narren zu schelten begann, weil er sich den Zutritt erzwungen hatte.
Dann bemerkte er, daß die Fechter keine Schutzmasken trugen. Sie entbehrten auch der üblichen Netzhemden zur elektrischen Trefferanzeige. Statt dessen kämpften sie mit entblößten Oberkörpern. Über die linke Brustseite des Fechters zur Rechten verlief schräg ein langer, roter Schnitt.
Et ließ sich auf einem leeren Platz nieder und schaute auf den Bildschirm. Die Nahübertragung war hervorragend, als befände er sich nur einen Meter von den beiden Fechtern entfernt. Er sah, daß an den Degen keine Schutzkappen steckten; sie waren spitz. Plötzlich durchbrach der linke Mann die Verteidigung des anderen und bohrte die Klinge in die bereits verwundete Brust seines Gegners. Als der Mann zusammenbrach, wandte Et sich ab und kehrte schwerfällig zurück zur Tür. Rico und die Leibwächter erwarteten ihn im Korridor.
»In Ordnung«, sagte Et. »Gehen wir.« Seine Stimme klang müde.
Wortlos traten sie den Rückweg an; die Schwarzgekleideten wichen ihnen aus. Et betrat seine Suite, ohne noch ein Wort an jemanden gerichtet zu haben, warf sich rücklings auf das Bett und starrte zur Decke empor. Er spürte wieder die Erschöpfung. Der Kopfschmerz pulsierte durch seine Schläfen. Doch mehr als das quälte ihn. Er hatte schon mancherlei Gewalttätigkeiten erlebt, Prügeleien unter Gebrauch von Flaschen, Knüppeln und Messern, und ihm war durchaus bekannt, daß Widersacher Rechtsverzichterklärungen unterzeichnen konnten, um ihre Meinungsverschiedenheit mit der blanken Waffe austragen zu dürfen.
Aber die Anwesenheit der bewaffneten Wächter und die Monitoranlage bewiesen zur Genüge, daß er Zeuge von etwas anderem gewesen war – einem kaltblütigen Duell auf Leben und Tod, über dessen Ausgang Zuschauer Wetten abschlossen.
Mit dieser widerwärtigen Erkenntnis sank er in einen unruhigen Schlaf.
6.
Als er auf dem Hotelbett im verdunkelten Schlafraum erwachte, stand eine noch dunklere Gestalt neben ihm. Er erkannte Rico. »Wie spät ist es?« erkundigte er sich mit schleppender Stimme.
»Gegen Mittag«, sagte Rico.
»Wie lange habe ich geschlafen?«
»Ungefähr vier Stunden.«
»Länger nicht?« Et fühlte sich wie ein Mensch in den Tiefen der Hölle; sein Mund und seine Kehle waren staubtrocken, und der Kopfschmerz pochte im Rhythmus seines Herzschlags. Er spürte seine Muskulatur, als läge eine Bergbesteigung hinter ihm.
»Länger nicht, Mr. Ho«, bekräftigte Rico. »Ich schlage vor, daß wir nun Ihre Insel aufsuchen. Ihr Leibarzt erwartet Sie, und Sie brauchen seine Hilfe.«
»Welche Hilfe?« meinte Rico und erhob sich mühselig auf einen Ellbogen. »Ich will keine Medikamente. Keine
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