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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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keuchend schwere Bündel auf dem Rücken. Sie hatten wohl Edelmetalle und Steine zusammengerafft, in seidene Tischdecken eingeschlagen, dachten nur, wie sie einen armseligen Teil ihrer Schät ze retten und verstecken könnten.
    Aber schon rasten Autos, mit Flüchtlingen überfüllt, in irrsinnigem Tempo den Boulevard entlang, rannten zusammen, überschlugen sich, verbrannten.
    Von den Dächern surrten Flugzeuge ab.
    Es hilft ihnen nichts, dachte ich ruhig. Sie entgehen dem Strafgericht nicht mehr.
    Aus dem Klubhaus stürzte ein Mann auf die Straße. Goldener Zierat umglitzerte ihn. Ich erkannte Bob, den Kaiser von Utopien. Er starrte auf die rauchenden Trümmer der Morgonburg, seine Hände umwürgten seinen Hals, als wollte er sich den Kopf vom Rumpfe reißen, brüllte wie ein Stier: »Verräter … ich … ich Verräter!« und zerschlug sich die Brust, riß sich die Uniform vom Leibe, zerstampfte sie unter den Füßen und lief, wie von bösen Geistern gepeitscht, in der Richtung des Turms davon, schrie: »Genossen – Genossen – ich wußte nicht, was ich tat – helft mir – helft mir –«
    In der Höhe begann es zu sausen, erst ferne, wie das Summen eines Motors hinter Wänden, vertiefte sich dann und brauste wie viele Orgelstimmen zugleich. Herandonnernde Gewalt. Heranstürzender Tod.
    Das zornige Summen der Fernlenker übertönte die Angstschreie der Menschen, die das Ende ahnten, ohne seine Ursache zu wissen.
    Vom Turm schnitten Scheinwerferstrahlen bleiche Lichtkeile in die Nacht. Wolkenbäuche schimmerten gespenstisch auf. Und nun blitzte es metallisch in ei nem der Lichtstreifen. Die anderen tasteten hastig, huschend nach dem gleichen Ziel. Da jagten sie heran, Leib an Leib, in gestaffelter Reihe, unabsehbar.
    Auf der Straße wurde es still. Wie gelähmt vor Angst starrten die Menschen den dröhnenden Ungeheuern entgegen. Viele knieten nieder und beteten. Andere warfen sich zu Boden und vergruben die Gesichter in den Händen.
    Die Spitze des Geschwaders stürmte genau auf den Turm los. Sie mußte an ihm in sechs, fünf Sekunden zerschellen und das stolze Gebäude, Wahrzeichen der Macht einigen Proletariats, würde wie ein gesprengter Vulkan das Wolkendach des Himmels zerschmettern.
    Das Herz stockte, Angst riß mich am Genick em por, ich zitterte, taumelte, lallte sinnlose Laute wie ein Kind …
    Da wandte sich der Bug des ersten Flugschiffes in leichter Wendung zur Seite. Die anderen schwenkten nach. In steiler Kurve stießen die stählernen Vogel am Turm vorbei, brausten schon über mir, stürzten wie ein Spuk in die Finsternis hinein. Der Donner verebbte zum tönenden Maschinensang, der sich allmählich in der Ferne verlor.
    Gerettet!
    Vom Turm trug der Wind Jubelgeschrei herüber. In allen Stockwerken strahlte Licht auf. Wie ein leuchtender Kristall glänzte es märchenhaft über der dunklen Stadt. In der Lichtsäule des Gipfels stieg die rote Fahne und wehte wie eine Flamme.
    Gerettet!
    So wunderlich ist der Mensch: In diesem Augen blick kam ich mir hilflos und verlassen vor, ganz ein sam, wie ein Landstreicher, der von außen, durchs Fenster, zusehen muß, wie sie drinnen eine Hochzeit feiern, stand gegen das Gitter gelehnt, klein und in ärmlichen Gedanken. Immer schwerer schlug es mich nieder, daß ich Jana verloren hatte, zumal mir selbst keine Gefahr mehr drohte. Ohne sie, schien es mir, würde ich mich in der neuen Gemeinschaft nicht mehr zurechtfinden.
    Dunkle Gestalten eilten an mir vorüber. Männer und Frauen aus der Lakaienkaste, die ihre Herren beraubt hatten und Schlupfwinkel suchten.
    Manche hatten sich rote Schärpen oder Kopftücher umgebunden, um schon in der ersten halben Stunde zu beweisen, daß sie stramme Revolutionäre seien. Sie summten versuchsweise die Internationale, den Text kannten sie natürlich nicht. In einer solchen Gruppe, die, innerlich angstschlotternd, äußerlich frech und siegessicher, den Anschluß an die »neuen Tatsachen« vollzog, glaubte ich auch Elvira zu erkennen. Sie fiel einem ehemaligen Wehrhart-Feldwebel, der sich eine rote Blume vor den Waffenrock gesteckt hatte, um den Hals und schrie verzückt: »Genosse!« Dann lachten beide hämisch und schauten sich zugleich furchtsam nach allen Seiten um.
    Ein Polizist lehnte an einer Hauswand. Helm und Gummiknüppel lagen zu seinen Füßen. Er starrte wie geblendet nach dem roten Feuerzeichen und murmelte, wie aus schwerem Schlaf erwachend: »Proletarier – aller Länder – einig – einig?« Er wischte sich

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