Vaclav und Lena
denn alle lächeln. »Oder mein Lieblingsbuch, Harry Houdini: Berühmter Amerikaner.«
»Ich hab gedenkt, der würd was Polnisches oder so sagen«, sagt Genesis.
»Meine Familie ist nicht aus Polen. Mein Familie ist aus Russland«, sagt Vaclav. »Vielleicht verwechselst du, mein Name ist tschechisch, weil ich nach meinem Urgroßvater heiße, der war Tscheche und hieß Vaclav. Aber ich bin Russe.«
»Tschuldigung. Russe, Pole, Tscheche. Was immer, ist doch dieselbe Pack, nicht?«, sagt Genesis.
|44| »Nein …«, beginnt Vaclav und verstummt, weil Nathalie gleich dazwischenredet und seine Partei ergreift.
»Genesis, das ist wie damals, wo der Junge gesagt hat, du bist Mexikanerin, und du hast geweint, weil nur dein Papa von Mexiko ist, aber du bist Dominikanerin wie deine Mama, nicht? Und außerdem, alle sind Amerikaner, nicht?«
»Wer ist David Copperfield?«, fragt Ulysses.
»David Copperfield ist der tollste lebende amerikanische Zauberer seit Houdini«, sagt Vaclav stolz.
»Ich finde, David Blaine ist cooler. David Copperfield, ist das nicht alter Kerl? David Blaine hat sich selbst in Eis gefroren. Das ist verrückt. Ich kann das auch, wenn ich will, will ich bloß nie«, sagt Ulysses.
»Willst du das? In Eis einfrieren? Das ist ekelhaft, hat meine Mama gesagt. Spielt sich doch nur auf und so«, sagt Nathalie.
»Nein, ich mache Zauberei und Täuschungskunst.« Vaclav blickt auf seine Tischkameraden, die ihn aufmerksam angucken, als er die Zauberkunst erklärt, die Kunst der Täuschung, und er wird aufgeregt und lebhaft und entscheidet sich, etwas zu tun, was er noch nie zuvor gemacht hat, er entscheidet sich, bei diesen, seinen ersten möglichen Fans etwas zu riskieren.
»Das hier«, sagt Vaclav und zieht den Reißverschluss seines Rucksacks auf, »ist ein Video von berühmter David-Copperfield-Show der Täuschung und Magie.«
Vaclav legt das Video mit dramatischer Geste in die Tischmitte. Er trägt es immer bei sich, denn für ihn hat es immer noch Neuheitswert. Bei seinem Anblick im Rucksack wird er immer wieder aufgeregt, obwohl er es schon seit Monaten hat. |45| Manchmal lässt er während des Unterrichts die Hand in seinen Rucksack gleiten und berührt die Plastikhülle.
Nathalie lacht. Genesis lacht, auch wenn sie nicht weiß, warum. Ulysses nimmt die DVD, öffnet sie und holt die DVD heraus.
»Das ist so was von Raubkopie!«, lacht er.
Vaclav reißt Ulysses die DVD aus der Hand und streckt sich nach der Hülle, aber Ulysses zieht seine Hand außer Reichweite. Ulysses wirft ihm einen Blick zu, der besagt: Ey!, mal langsam!, als gäbe es überhaupt keinen Grund für Vaclav, auch nur ein bisschen verärgert zu sein, doch das ist er.
Ulysses hält die Hülle so, dass Vaclav nicht rankommt, öffnet sie und zeigt sie den Mädchen. Er weist auf das Label.
»Guckt mal, dieses Label ist mit der Hand geschrieben! Das Video hier ist eine totale Raubkopie.« Er reicht das Video an Vaclav zurück.
»Was ist das, Raubkopie?«, fragt Vaclav.
»Du weißt doch, wie im Tunnel zum B-Zug , da ist doch der Mann mit der Decke auf dem Boden und lauter Videos drauf …«
»Fieh fü füf Dollah!«, imitiert Genesis den Lockruf des Mannes, des Underground-Mannes, des Video-Straßenhändlers.
Ja, denkt Vaclav, er hat diesen Mann auch schon gesehen, in der U-Bahn , auf dem Weg nach Coney Island. Wenn er den Menschen in der U-Bahn oder im Bus begegnet, folgt er den Anweisungen seiner Mutter und macht es wie alle Erwachsenen – er richtet den Blick nach unten und geht weiter, ohne je zu starren, immer seine fünf Sinne beisammen, ohne jemals den Kopf zu verlieren.
»Die hier ist von dem Typ oder von irgendeinem anderen Typ |46| wie dem«, sagt Ulysses. Ms. Hunter räuspert sich, die Unterrichtsstunde beginnt. Ulysses senkt die Stimme zu einem Flüstern. »Die machen einfach eine Kopie von dem echten Ding und verscheuern die dann spottbillig auf der Straße oder sonst wo.«
»Aber mein Vater hat das für mich gekauft …«, sagt Vaclav.
»Jaja«, sagt Ulysses, »von dem Raubkopierer-Typ.«
Vaclav beschließt, das zu erforschen, er will dieser Geschichte mit der Raubkopie auf den Grund gehen. Er glaubt Ulysses nicht so recht und will herausfinden, weshalb man den großen Zauberer David Copperfield so übervorteilt hat.
Aber zuerst muss Vaclav durch den Schultag kommen. Er muss versuchen, Gedanken an Lena und ihr eindeutiges Nein wegzudrängen, Gedanken an seine Mutter und das entsetzliche Gespräch, vor
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