Vaclav und Lena
stehen in den Sternen geschrieben
Vaclav lässt seinen Rucksack auf den Bürgersteig fallen, öffnet die Vordertasche und prüft, ob da zwischen all dem Kleinzeug und den Bleistiften und alten Bonbonpapieren noch ein Dollar Kleingeld ist, und tatsächlich wird er fündig, und so geht er zwei Häuserblocks weiter zum
Happy-Family-Kabob-House
, um etwas zu trinken und nachzudenken, was als Nächstes zu tun ist.
Das
Happy-Family-Kabob-House
ist gleich neben dem russischen Supermarkt, wo seine Mutter manchmal Süßigkeiten kauft, wobei sie immer betont, was das da für eine Abzockerei |53| sei und dass sie das alles selbst mit einer Hand noch besser machen könne.
Das
Happy-Family-Kabob-House
hat holzverkleidete Wände und eine große Vitrine mit ausladenden Platten voller Speisen wie Lamm-Kebab unter einer Frischhaltefolie und braun geschmorte Kohlrouladen und selbst gemachte rosa Würstchen aus Lammfleisch und Zwiebeln, die erst bei Bestellung gebraten werden. Vaclav öffnet die Getränkevitrine, nimmt sich eine
Dr. Pepper
und stellt die Dose auf die Theke.
»Genau ein Dollar«, sagt der Inhaber Zev, und Vaclav legt genau eine Dollarmünze auf die Theke. Gewöhnlich plaudert Vaclav gern mit Zev, besonders wenn Zev neues Englisch an ihm erprobt, aber heute ist Vaclav nicht danach.
Zev nimmt die
Dr. Pepper
und schiebt sie in eine braune Papiertüte, in die genau eine Dose hineinpasst, und reicht sie Vaclav, der die
Dr. Pepper
zu einem Fensterplatz trägt. Er bleibt dort lange hocken und tut sich leid, auch wenn er gleichzeitig froh ist, dass er es so schön warm hat in seinem wattierten Mantel und mit einem Strohhalm aus der
Dr. Pepper -Dose
trinken und durch das Fenster die Passanten auf dem Bürgersteig betrachten kann. Auch wenn diese Limonade die Hälfte eines Ausflugs nach Coney Island zur
Sideshow
kostet, denkt er, der Weg ist anstrengend, bis man ein berühmter Zauberer ist, und manchmal muss man einfach den letzten Dollar für eine Limonade ausgeben, damit man an so einem Tag etwas hat, für das man dankbar sein kann, selbst wenn es bloß für ein Weilchen ist.
Vaclav atmet tief durch und bringt sich in Erinnerung, dass dies alles innerhalb eines größeren Zusammenhangs nur kleine Probleme sind. Es gibt bestimmte Dinge, die im Weltall Schicksal |54| sind. Manchmal muss sich ein junger Zauberer daran erinnern, dass seine Träume in den Sternen geschrieben stehen. Er nimmt die
Dr. Pepper
aus der Tüte und drückt das Papier auf dem Tisch platt. Mit einem Bleistift aus dem Rucksack beginnt er auf der braunen Tüte eine wichtige Liste.
Schicksalsdinge:
Einmal ein berühmter Zauberer sein
Lena als reizende Assistentin haben
Ausdauer bei diesen Zielen trotz aller möglichen Hindernisse
Schwierige Freundschaft
Vaclav weiß, was er tun wird. Jeden Tag wird er auf Lena vor ihrem Haus warten, wenn sie zur Schule geht, und er wird nach der Schule auf sie warten und mit ihr gehen und ihr Vorschläge machen und sie irgendwie dazu bringen, an der Zaubershow zu arbeiten, mit oder ohne Erlaubnis seiner Eltern. Vaclav eilt aus dem
Happy-Family-Kabob-House
und kommt sich wieder vor wie ein Eskimo, der viele Meilen in der Kälte gehen kann, und er rennt die vier Häuserblocks nach Hause, wobei sein Rucksack den ganzen Weg heftig hin und her schaukelt. Vaclav ist entschlossen, seine Hausaufgaben rasch zu erledigen, um Zeit |55| zum Nachdenken und Planen zu haben. Der Gedanke an die Hausaufgaben bringt Vaclav mit einem Mal darauf, was er Lena vorschlagen wird, und er weiß sofort, dass es hundertprozentig klappen wird.
Am nächsten Morgen steht Vaclav vor Lenas Haus und wartet auf sie, um sie zur Schule zu begleiten und ihr den Vorschlag zu machen, von dem er weiß, dass sie ihn nicht ablehnen wird.
Als Lena die Haustür öffnet und Vaclav sieht, hält sie inne, die eine Hand noch auf dem Türgriff, schaut ihn an und verdreht die großen braunen Augen. Sie hat das Haar seitlich am Kopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Es ist das erste Mal, dass sie diese Frisur trägt. Sie seufzt laut, stapft die Treppe zum Bürgersteig hinunter und geht Richtung Schule los, ohne anzuhalten und mit Vaclav zu reden.
Vaclav ist zuversichtlich, trottet hinter ihr her und wirft sein Netz aus.
»Lena, ich habe was für dich. Wir arbeiten weiter an der Show. Wir geben uns die größte Mühe, dass wir die Erlaubnis für die Show kriegen, ohne jeden Ärger.« Lena geht weiter. Vaclav fährt fort. »Aber wenn nötig,
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