Vaclav und Lena

rein zufällig hinter einen schwarzen Vorhang geraten war, wirklich nicht aus Neugierde, sondern aus Zufall, hatte der Angestellte ihn angeschrien, und er hatte sich verlegen und ängstlich und wütend gefühlt und ihm war ganz heiß geworden.
    Vaclav wünschte sich, dass etwas Schönes passieren würde, damit Lena sich freute. Aber es gab keine weiteren Fahrgeschäfte. Also entschied er sich, ein Risiko einzugehen. Er nahm alle seine Dollarscheine und reichte sie dem Mann, der geschrien hatte »Kommt nur herein!« Der Mann lehnte sich zurück, während er Vaclavs Dollars in seine Gesäßtasche steckte, und streckte dann seine Hand aus, um die von Vaclav zu schütteln. Vaclav nahm sie, immer noch beunruhigt, dass der Mann sie beide zurückweisen und als Strafe sein Geld behalten würde. Doch der Mann schüttelte ihm kräftig die Hand.
    »Eine prima Wahl, mein Sohn! Die Show beginnt, hereinspaziert!« Der Mann ließ Vaclavs Hand los, und es ging durch einen dunklen Gang. Am Ende des Gangs war ein knalliges Reklameschild, auf dem stand
Berühmtes Coney Island Sideshow Theater
mit einem Riesenpfeil darunter. Er wies zu einer Tür, die schwarz gestrichen war und auf der sich verstaubte Fußstapfen befanden.
    Vaclav öffnete die Tür, und er und Lena betraten das Theater, und ein Prickeln durchlief ihre Körper vom Scheitel bis hinunter zu den Zehen, die in Socken und Turnschuhen steckten. Beide gaben keinen Laut von sich, kein Keuchen, Kichern oder Schreien, doch die Laute rollten in ihren Köpfen herum, und ihre Augäpfel wurden immer größer von all den Lauten, die herauswollten, sodass sie das, was sie sehen wollten, besser sehen |103| konnten. Nach der Hälfte mussten sie gehen, damit Vaclavs Mutter sich keine Sorgen machte, aber was sie gesehen hatten, war genug, um alles zu verändern.
    Vaclav und Lena kehrten sofort zurück zu Rasia. Ohne dass sie sich darauf verständigt hätten, wussten sie, dass sie die
Sideshow
geheim halten würden.
    Wenn einem etwas sehr am Herzen liegt, kann einem das Gefühl kommen, dass man es besser für sich behalten sollte. Denn wenn man es erzählt und jemand anderes äußert sich negativ dazu oder, noch schlimmer, macht sich darüber lustig, fühlt man sich vielleicht sehr verletzt.
    Vaclav wusste auch, dass er sich nicht an die Abmachungen gehalten hatte, dass die
Sideshow
nicht dasselbe war wie eine Fahrt mit der Achterbahn und dass er vielleicht in Schwierigkeiten geraten würde, wenn er es seiner Mutter alles erzählte.
    Und so wurde es ihr Geheimnis.
    Als Rasia sich nach der Fahrt erkundigte, erzählte Vaclav ihr, dass es großartig gewesen sei, aber nun wolle er nach Hause, denn draußen sei es zu heiß, und die übrigen Achterbahnen seien blöd und langweilig. Daheim angekommen, gingen Vaclav und Lena sofort in Vaclavs Zimmer, um mit dem allein zu sein, was sie gesehen hatten.
    Als Erstes machten sie sich eine Liste mit all den Show-Künstlern und ihren jeweiligen Kunststücken, samt aller eingesetzten Requisiten.
    |104| Die Magie der Vorbereitung
    »Der goldene Fransenbikini der Heather Holliday«, sagt Lena. Nicht zu Vaclav gewandt, sondern zum Universum, fast wie ein Gebet sagt sie diese Worte, so leise, als würde sie sie hauchen.
    Er schaut von seinem Stuhl zu Lena hinunter. Lena bemerkt die Besorgnis in Vaclavs Zügen, vor allem um die Augenbrauen und die Nase.
    »Der goldene Fransenbikini von Heather Holliday«, sagt Lena, »ist perfekt.«
    Vaclav weiß, dass er zu Lena nicht passt, und er weiß auch, dass Lena ihn unbedingt tragen will.
    »Okay«, sagt Vaclav, »der ist für dich.« Lena lächelt und macht sich Gedanken, wie sich das tollste Kleidungsstück, das je auf Erden von einer Zauberer-Assistentin getragen worden ist, nachmachen lässt.
    »Wir beginnen heute Abend mit der Planung für die Zaubervorführung. Wir beginnen mit den Listen«, teilt Vaclav Lena mit. Und Lena legt sich bäuchlings neben das Bett, streckt sich an Händen und Zehen, damit sie weit darunter reichen, und mit den Fingerspitzen ertastet sie den Zauberkoffer mit sämtlichen Listen und Entwürfen für ihre allererste gemeinsame Zaubershow und zieht ihn heraus.
    Vaclav lässt sich vor ihr mit Notizblock und Füller hinplumpsen und macht sich bereit, weitere Listen zu schreiben. Mit einer behutsamen, feierlichen und vorsichtigen Geste hebt Lena den Deckel von der Schachtel hoch, um die Magie, die sich womöglich darunter versteckt, nicht zu stören.
    |105| Nach und nach entfernen sie die