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Vaclav und Lena

Vaclav und Lena

Titel: Vaclav und Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haley Tanner
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Spielzeug und Bilderbüchern, Tische, auf denen Schachteln mit Buntstiften standen, dazu riesengroße Bögen weißen Papiers. Außerdem gab es überall durchsichtige Plastikeimer mit Spielzeug. Auf einem Spielteppich mit aufgemalten Straßen und Häusern spielten Kinder in Lenas Alter mit Autos.
    »Gefällt dir Ausmalen? Komm schon, wir malen ein bisschen.« Anna zog für Lena einen Stuhl an einen Tisch heran, an dem bereits ein kleines Mädchen mit Malen beschäftigt war. Lena kam es älter vor, aber nicht so alt wie das Toast-Mädchen. Das Mädchen schaute nicht auf, als Lena und Anna sich hinsetzten. Rund um ein rosafarbenes Fischlein malte es gerade das Meer blau an und brachte dabei das Blau immer näher an das Fischlein heran, ohne es zu übermalen.
    »Janelle, das ist Lena.« Janelle sagte nichts. Anna legte vor Lena ein großes Blatt Papier hin und vor sich selbst auch eins und stellte eine große Schachtel mit Buntstiften zwischen sich und Lena. Dann nahm sie einen braunen Stift und malte eine große Blume auf die Blattmitte. Sie hatte perfekt zugespitzte Blütenblätter, und nachdem sie braun umrissen waren, malte Anna sie orangefarben aus.
    Dann griff sie in die Schachtel, nahm einen rosaroten Stift heraus und reichte ihn Lena.
    |230| Langsam und behutsam setzte Lena die Spitze des Buntstifts auf das Papier. Den Blick auf den Stift und nicht auf das Papier gerichtet, schob sie ihn herum, wobei sie kaum eine Spur auf dem Papier hinterließ. Sie konzentrierte sich ganz darauf, den Stift über das Papier gleiten zu lassen. Dann legte sie den Stift hin und schob ihn übers Papier. Sie ließ ihn vor- und zurückrollen, denn er sollte wie ein Regenwurm aussehen. Sie dachte an die Regenwürmer, die sie gesehen hatte, wie sie ihren Körper beim Kriechen zusammenzogen und sich dann dehnten, und probierte, diese Vor- und Rückwärtsbewegung mit ihrem Stift nachzumachen. Sie dachte an ihre Finger im Teppich und dachte auch an den neuen Spielteppich hier, und wie toll es wäre, damit allein zu sein und mit den Fingern die Straßen entlangzuspazieren und mit den Händen auf den Schnellstraßen zu fahren.
    Lena mochte die Beschäftigung, denn sie musste dabei nicht reden, und sie hatte es gern, am Tisch zu sitzen und sich in Ruhe zu konzentrieren, während andere das Gleiche taten. Sie wollte Spuren auf dem Papier hinterlassen wie die anderen, doch ebenso mochte sie ihre Art zu malen   … Da konnte sie drauflos malen, ohne Papier oder Stifte aufzubrauchen.
    |231| Wie Lena zum Fleck im Leben der Tante wurde
    Die Leute, die sich in den seltsamen Stunden nach Radoslava Dvorakovskayas Tod um Lena kümmerten – mit besorgten Gesichtern, ihren Vorschriften, Formalitäten und besten Absichten   –, prüften jetzt Radoslava Dvorakovskayas Testament, das sie im Nachttisch hinterlassen hatte. Radoslava hatte ausdrücklich den Wunsch geäußert, dass das Sorgerecht für Lena ihrer Tante Yekaterina gewährt würde. Radoslava war allerdings nicht Lenas legaler Vormund und hatte daher keinerlei Befugnis, Lena Yekaterina zu vermachen oder sonst wem zu überlassen. Die Sache wurde dadurch kompliziert, dass sich nirgendwo Hinweise darauf finden ließen, wer die Vormundschaft für Lena hatte. Nach dem Verschwinden ihrer Eltern war Lena durch das Netz der Kinderfürsorge gefallen. Tatsächlich blieb unklar, ob Lena je behördlich erfasst worden war: Das Fehlen einer amerikanischen Geburtsurkunde deutete darauf hin, dass sie in Russland geboren war, das Fehlen von Einwanderungspapieren hingegen darauf, dass sie in Amerika zur Welt gekommen war.
    Radoslava Dvorakovskayas Testament, das Yekaterina als Lenas Tante identifizierte, war das einzige formale Schriftstück, das Lenas Existenz überhaupt bescheinigte. Nach vielen Nachforschungen und intensivem Beraten wurde entschieden, dass Yekaterina der beste gesetzliche Vormund für Lena war. Die Verwandtschaft war eng, Lenas Eltern waren allem Anschein nach unauffindbar, und Yekaterina war bereit dazu. Letztendlich.
    |232| »Wie alt ist sie denn?«, wollte Yekaterina wissen. »Reicht das für kostenlosen Schulbesuch?«
    »Mein Job macht mich nicht reich, wie soll ich da für all die Sachen zahlen? Schulbücher, Essen, Kleidung und sonst was?«
    »Beihilfe? Was ist das? Wie hoch ist die? Wann kommt der erste Scheck?«
    Und so kommt Lena zur Tante. Daran erinnert Lena sich, überdeutlich und nicht deutlich genug, wie unser Gedächtnis eben so funktioniert.
    Es sollten etliche Tage mit Anna

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