Vaeter und Soehne
anblickte, »aber anders nicht.«
»Wahrhaftig, nun begreife ich, warum wir uns so gut verstehen. Sie sind mir in dieser Beziehung ganz und gar ähnlich.«
»Wir uns verstehen? …« wiederholte Bazaroff dumpf.
»Im Grunde, ja! Ich hatte vergessen, daß Sie abreisen wollen.«
Bazaroff erhob sich, die Lampe brannte schwach inmitten des halbdunkeln, von Wohlgeruch erfüllten Zimmers. Der Vorhang hob sich von Zeit zu Zeit und ließ die wollüstige Frische und die geheimnisvollen Laute der Nacht ins Zimmer dringen. Frau Odinzoff saß vollkommen unbeweglich; aber nach und nach bemächtigte sich ihrer eine geheime Aufregung, die auch Bazaroff ergriff. Es kam ihm plötzlich zum Bewußtsein, daß er sich mit einer schönen und jungen Frau allein befand …
»Wohin?« fragte sie gedehnt.
Er antwortete nicht und sank auf seinen Sessel zurück.
»Also halten Sie mich für glücklich, verwöhnt vom Schicksal,« fuhr sie im selben Tone fort, die Augen auf das Fenster gerichtet. »Und ich weiß im Gegenteil, daß ich das Recht habe, mich für sehr unglücklich zu halten.«
»Sie unglücklich? Wieso? Wärs möglich, daß Sie gegen dummen Klatsch empfindlich wären?«
Über Frau Odinzoffs Gesicht zog eine Wolke des Mißvergnügens. Es verdroß sie, so schlecht verstanden worden zu sein.
»Dieser Klatsch kann mich nicht einmal lachen machen, Eugen Wassilitsch, und ich bin zu stolz, um davon verwundet zu sein. Ich bin unglücklich, weil das Leben … nichts hat, was mich reizt, was mich anzieht. Sie sehen mich zweifelnd an, Sie sagen sich: ›Da sitzt eine mit Spitzen bedeckte Aristokratin in ihrem Samtsessel und spricht so?‹ Ich leugne es nicht, ich liebe das, was Sie Komfort nennen, und doch liegt mir nichts am Leben. Vereinigen Sie diese Widersprüche, wie Sie wollen; übrigens müssen Sie all das für Romantik halten.«
»Sie sind gesund, unabhängig, reich,« erwiderte Bazaroff mit Kopfschütteln, »was wollen Sie mehr?«
»Was ich will?« sagte Frau Odinzoff seufzend; »ich fühle mich sehr müde, ich bin alt; es scheint mir, daß ich schon seit langer, langer Zeit lebe. Ja, ich bin alt,« wiederholte sie und zog langsam die Enden ihrer Mantille über die bloßen Arme. Ihre Augen begegneten denen Bazaroffs, und sie errötete ein wenig.
»Ich habe schon so viele Erinnerungen hinter mir; ein glänzendes Leben in Petersburg; dann die Armut, dann den Tod meines Vaters, meine Ehe, meine Reise durch Deutschland … und all das, was danach kam … wieviel Erinnerungen, und keine, bei der man verweilen möchte! und vor mir ein langer Weg, und kein Ziel und Zweck … auch habe ich keine Lust, weiterzugehen.«
»Das Leben hat keinen Reiz mehr für Sie?« fragte Bazaroff.
»Das nicht,« antwortete Frau Odinzoff nach kurzem Besinnen, »aber es hat mir keine Befriedigung gewährt. Es scheint mir, daß, wenn ich mich mit Macht an etwas anklammern könnte …«
»Sie möchten lieben,« antwortete Bazaroff … »und Sie könnens nicht. Das ist Ihr ganzes Unglück!«
Frau Odinzoff spielte mit dem Saum ihrer Mantille.
»Kann ich wirklich nicht lieben?« fragte sie.
»Ich bezweifle es! Nur hatte ich unrecht, das ein Unglück zu nennen. Mit dem im Gegenteil muß man Mitleid haben, dem ein solcher Unfall zustößt.«
»Welcher Unfall?«
»Zu lieben.«
»Woher wissen Sie das?«
»Vom Hörensagen,« antwortete Bazaroff bitter. »Du spielst die Kokette,« dachte er, »du hast Langeweile, und zum Zeitvertreib machst du mich rasend; aber ich …«
Sein Herz schlug in der Tat heftig.
»Zudem sind Sie vielleicht zu wählerisch,« fügte er hinzu und spielte vorgeneigt mit den Quasten des Sessels.
»Vielleicht! Alles oder nichts, das ists, was ich will. Einen vollkommenen Austausch der Gefühle; wenn ich gebe, so ists, um zu empfangen, und das ohne Reue, ohne Umkehr. Sonst lieber nichts.«
»Im ganzen«, erwiderte Bazaroff, »scheinen mir die Bedingungen verständig, und ich bin erstaunt, daß Sie bisher noch nicht gefunden haben, was Sie suchen.«
»Sie glauben also, daß sich leicht Gelegenheit findet, diesen loyalen Tausch zu machen?«
»Leicht? nein, wenn man kalt überlegt, wenn man berechnet, auswählt und sich selber hoch anschlägt; aber es ist sehr leicht, sich ohne Überlegung hinzugeben.«
»Warum sollte man sich nicht ein wenig hoch anschlagen? Wenn man nichts wert ist, wozu sich geben?«
»Das ist nicht die Sache dessen, der sich gibt, der andere muß schätzen, was man wert ist. Das Wesentliche ist, daß man
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