Vaeter und Soehne
Zwang.
»Anna Sergejewna,« sagte Bazaroff rasch, »vor allem muß ich Sie beruhigen. Sie sehen einen Sterblichen vor sich, der vollkommen wieder zur Vernunft gekommen ist, und der hofft, daß die andern seine Dummheiten vergessen haben. Ich verreise auf lange Zeit, und obgleich ich nicht sentimental bin, wie Sie wissen, wär mir der Gedanke doch peinlich, daß Sie sich meiner mit Mißfallen erinnern …«
Frau Odinzoff atmete tief auf, wie jemand, der den Gipfel eines hohen Berges erreicht hat, und ein leichtes Lächeln belebte ihre Züge. Sie reichte Bazaroff nochmals die Hand, und als er sie drückte, erwiderte sie diesen Druck.
»Möge derjenige von uns, der auf das Vergangene zurückkommt, eins seiner Augen verlieren,« sagte sie zu ihm, »um so mehr, als, ehrlich gestanden, ich selber damals auch gesündigt habe, wenn nicht aus Koketterie, so doch in irgendeiner anderen Weise. Mit einem Wort, lassen Sie uns Freunde sein wie zuvor, das Ganze war nur ein Traum, nicht wahr, und wer erinnert sich eines Traums?«
»Wer erinnert sich dessen! Überdem ist die Liebe eine gemachte Empfindung.«
»In der Tat? Es freut mich sehr, das zu erfahren.«
So redete Frau Odinzoff, so redete seinerseits Bazaroff; sie glaubten beide, wahr zu sein. Wie weit waren sie’s, indem sie so redeten? Sie wußten es vermutlich selber nicht, und dem Verfasser ist es auch nicht bekannt. Aber die Unterhaltung nahm eine Wendung, die dafür zu sprechen schien, daß sie sich gegenseitig volles Vertrauen schenkten.
Frau Odinzoff fragte Bazaroff, was er bei den Kirsanoffs getan habe. Er war nahe daran, ihr sein Duell mit Paul Petrowitsch zu erzählen, der Gedanke hielt ihn jedoch zurück, daß sie ihn im Verdacht haben könnte, er wollte sich interessant machen, und so begnügte er sich zu sagen, er habe die Zeit mit Arbeiten zugebracht.
»Und ich,« erwiderte Frau Odinzoff, »ich habe zuerst den Spleen gehabt, Gott weiß, warum! ich war fast entschlossen, auf Reisen zu gehen; stellen Sie sich das vor! Ich habe mich jedoch allmählich wieder gefaßt; Ihr Freund Arkad ist erschienen, und ich bin wieder ins Geleise gekommen, in meine wahre Rolle.«
»Was ist das für eine Rolle, wenn man fragen darf?«
»Die Rolle einer Tante, Gouvernante, Mutter, wie Sie’s nennen wollen. Apropos, wissen Sie, daß ich lange Ihre intime Freundschaft mit Arkad nicht begriffen habe; ich fand ihn ziemlich unbedeutend. Jetzt aber hab ich ihn kennen gelernt, und ich bin überzeugt, daß er sehr intelligent ist … und vor allem jung, sehr jung … Ach, wir sind es nicht mehr, Eugen Wassilitsch!«
»Schüchtert ihn Ihre Gegenwart noch immer so ein?« fragte Bazaroff.
»Ist denn? …« begann Frau Odinzoff, fuhr aber, sich plötzlich verbessernd, fort: »Er ist viel zutraulicher geworden und unterhält sich gern mit mir, früher hat er mich gemieden. Übrigens muß ich bekennen, daß auch ich seine Gesellschaft nicht suchte. Katia und er sind jetzt Freunde geworden.«
Bazaroff fühlte eine Aufwallung von Ungeduld. »Das Weib kann das Heucheln nicht lassen,« dachte er.
»Sie behaupten, er habe Sie gemieden,« versetzte er mit kaltem Lächeln, »aber die schüchterne Liebe, die Sie ihm eingeflößt, ist jetzt ohne Zweifel kein Geheimnis mehr für Sie?«
»Wie! auch er!« rief Frau Odinzoff unwillkürlich aus.
»Auch er,« wiederholte Bazaroff mit einer ehrerbietigen Verneigung. »Ist es möglich, daß Sie es nicht bemerkt haben und daß ich der erste bin, der Ihnen diese Neuigkeit mitteilt?«
Frau Odinzoff schlug die Augen nieder.
»Sie täuschen sich,« erwiderte sie.
»Ich glaub es nicht, aber ich hätte vielleicht schweigen sollen.«
Bazaroff dachte dabei: »Das wird dich lehren, die Heuchlerin zu spielen.«
»Warum hätten Sie nicht davon reden sollen? Ich glaube jedoch, daß Sie auch in diesem Falle einem vorübergehenden Eindruck eine zu große Bedeutung beigelegt haben. Ich fange an zu vermuten, daß Sie zur Übertreibung neigen.«
»Sprechen wir von etwas anderem, Madame.«
»Warum denn?« erwiderte sie, was sie jedoch nicht hinderte, auf einen anderen Gegenstand der Unterhaltung überzugehen.
Sie fühlte sich immer etwas unbehaglich Bazaroff gegenüber, obgleich sie sich eingeredet hatte, daß alles vergessen sei, wie sie ihn versichert. Bei der einfachsten Unterhaltung mit ihm, im Scherze sogar, empfand sie ein leises Gefühl von Furcht. So plaudert und scherzt man auf einem Dampfschiff auf hoher See, geradeso sorglos wie auf dem festen
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