Vaethyr: Die andere Welt
warst –, er glaubt, während seines schlimmen Trips versehentlich das Lych-Tor geöffnet zu haben.« Sie hielt ihre Hände hoch, wie Lucas das getan hatte. »Nur einen kleinen Spalt.«
Entsetzen breitete sich auf Jons Gesicht aus. »Nein. Das hätte er mir erzählt!«
»Er hatte Angst wegen der Konsequenzen und behielt es deshalb für sich. Er lief mehr oder weniger vor dem weg, was er getan hatte. Vielleicht hat er sich auch geirrt oder hältst du es für möglich?«
Jons Antwort kam langsam: »Die einzige Möglichkeit, die es ihm erlaubt hätte, die Tore zu öffnen, wäre die, dass Lawrence seine Macht darüber verloren hat.« Seine samtbraunen Augen blitzen sie an. »Luc wollte mir was erzählen, als Alastair kam … o mein Gott.« Eine Minute lang schwiegen sie alle. Es war, als würde sich ein Nebelschleier zwischen sie und die Menschenwelt herabsenken. »Ich würde ja hingehen und es überprüfen, aber ich kann nicht laufen.«
»Ich könnte mal nachsehen«, sagte sie. »Ich fahre ohnehin zurück nach Oakholme.«
»Warte mal«, sagte Sam. »Realitätsabgleich. Losrennen, um Freias Krone nach Spalten abzusuchen – ist das nicht ein wenig verrückt? Lucas ist doch hier .«
»Du redest wie Matthew.«
»Sam hat recht«, sagte Jon. »Selbst wenn Luc die Tore geöffnet haben sollte, selbst wenn du ihm in die Spirale folgen könntest, was sollte das bringen?«
»Wenn du keinen gebrochenen Knöchel hättest, wärst du doch als Erster drin«, erwiderte sie.
»Natürlich«, sagte er mit verzweifeltem Blick. »Aber sieh mich an. Keine Chance.«
Rosie musterte Jon und fragte sich, ob sie seinen Gesichtsausdruck richtig deutete und er tatsächlich Angst hatte. Er hatte seine gesamte Energie den geschlossenen Toren gewidmet, aber offenbar nie überlegt, was er tun würde, wenn sie plötzlich offen wären. »Nur ein müßiger Gedanke«, sagte sie leise. »Aber ich muss wirklich nach Hause gehen und nachsehen, wie es Faith geht. Ich treffe euch beide später wieder.«
»Moment, Schatz.« Sam war aufgesprungen. »Ohne mich gehst du nirgendwohin.«
Sie sah ihn herausfordernd an. »Ist das so?«
Am anderen Ende der Station stand Sapphire und beobachtete sie. Rosie und Sam und Jon. Sie waren eine kleine verschworene Clique, die sich angeregt unterhielt. Ihnen bedeutete es nichts, dass sie nicht dazugehörte. Sie vermissten sie nicht und würden sie nie vermissen.
Sie nahm ihre glänzenden Haare und die anmutigen Bewegungen in sich auf, den elfischen Glanz, der sie umgab. Sie waren sich ihrer selbst nicht bewusst. Nur wenige Menschen erkannten das, aber sie gehörte dazu.
Und sie war eifersüchtig auf sie.
Die Elfenwesen würden sie immer ausschließen, ihr nie Einlass gewähren. War es das, was ihren Vater kaputtgemacht hatte – der besessene Drang, den Schleier zu durchdringen und sie zu begreifen, sie zu kontrollieren, einer von ihnen zu werden ?
Das war der eigentliche Grund, weshalb sie Rosie hasste. Sam war Sapphire gleichgültig – sie mochte ihn nicht, das ja, aber sie beneidete ihn auch nicht, weil er sein elfisches Wesen nie vor sich hergetragen hatte. Jon konnte sie kontrollieren. Aber Rosie war unzähmbar und hatte sämtliche nicht zu greifenden Eigenschaften, die Sapphires Vater in ihren Bann gezogen hatten, und war dennoch nie zufrieden.
Rosie war ein Elfenwesen. Und doch nicht glücklich.
Und dort standen sie nun selbstvergessen und flüsterten über elfische Dinge, als würde sie, Sapphire, überhaupt nicht existieren. Diese Dinge betrafen sie selbst nicht weniger, aber diese Einschätzung würden die Elfenwesen wohl niemals teilen. Es war immer wieder das Gleiche. Sosehr sie sich auch anstrengte, sie mit Wissen und Glamour und Sinnlichkeit zu übertrumpfen, immer war sie die Außenseiterin. Das Menschenwesen.
Sie sympathisierte mit Alastair. Im Unterschied zu allen anderen konnte sie seine Motive voll und ganz nachvollziehen. Sie sagte sich: Wir glauben, mit den Elfenwesen leben zu können, ihnen ebenbürtig zu sein – aber am Ende treiben sie uns zur Verzweiflung. Wie schade, dass ich ihn nie kennengelernt habe. Selbst das haben sie mir vorenthalten. Ich hätte ihn vielleicht retten können.
Sapphire setzte eine neutrale Miene auf. Natürlich gab es in ihr auch einen Teil, der wegen Lucas traurig war. Der arme süße, schöne Junge … Ein anderer Teil von ihr jedoch kam nicht umhin sich zu sagen, dass, wenn Lucas tot wäre – hirntot oder anders – es ihnen nur recht geschähe, wenn
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