Vampir-Expreß
Reise begonnen, wobei ich nicht wusste, wo sie enden würde…
***
Wieder verstrich Zeit.
Ich hatte mich mittlerweile an die monotonen Fahrgeräusche gewöhnt. Das Rattern der Räder, das Schwingen in den Kurven, das manchmal schrille Pfeifen der Lokomotive, das helle Zischen des Dampfes. Diese alten Wagen besaßen längst nicht die Dämpfung und Federung moderner Wagen. Ich spürte genau, wenn wir über Unebenheiten an den Schweißstellen der Schienen fuhren und konnte schon fast immer voraussagen, wann der Stoß sich wiederholen würde. Ich hoffte auf Dragan Domescu. Irgendwann würde er mich aus dieser verdammten Kiste befreien!
Sicherlich war es zu hören, wenn die Tür des Gepäckwagens aufgestoßen wurde, und darauf konzentrierte ich mich. Dennoch wurde ich überrascht. Mein Befreier hatte den Gepäckwagen betreten, ohne von mir gehört worden zu sein.
Er stand plötzlich neben meinem »Gefängnis« und klopfte mit der Faust auf den Deckel. Dreimal kurz hintereinander!
Da wusste ich Bescheid. Dieses Zeichen war verabredet gewesen und es konnte nur Dragan sein, der sich da gemeldet hatte. Ich bewegte meinen rechten Arm, bekam ihn einigermaßen in die Höhe und klopfte von unten zurück.
Das Zeichen wurde verstanden. Kurz darauf knackte über mir etwas. Die Kiste war mit Metallbändern gesichert worden. Dragan schnitt sie nun durch.
Auch Nägel musste Dragan herausziehen. Mir dauerte es viel zu lange, ich sehnte die Sekunde meiner Befreiung herbei. Als es dann soweit war und der Deckel abgehoben wurde, tat ich zunächst einmal nichts, blieb nur sitzen und atmete tief durch.
Endlich bessere Luft. Ich pumpte meine Lungen voll und merkte, wie es mir allmählich besser ging.
Eine Hand und ein Arm erschienen in meinem Blickfeld. Mein Befreier hatte sie von oben her in die Kiste gestreckt, ich griff zu und wurde in die Höhe gezogen. Ein paar Mal knackte es in meinen Gelenken. Ich hatte Mühe, überhaupt stehen zu können und musste zunächst einmal das Schwindelgefühl loswerden, das mich überfallen hatte.
»Geht es?« fragte Dragan.
»Ich hoffe«, sagte ich und kletterte raus.
Minuten später ging es mir besser. Da hatte sich der Kreislauf wieder stabilisiert, ich fühlte mich einigermaßen fit und schaute meinen Befreier an.
Vor mir stand ein dunkelhaariger und dunkel gekleideter Mann zwischen 25 und 30 Jahren. Er lächelte, aber dieses Lächeln erreichte seine Augen nicht. Sie blieben ruhig, beinahe teilnahmslos, denn ich sah Dragan an, dass er Sorgen hatte.
Darüber konnten wir später sprechen.
Ich reichte ihm die Hand. »Ich bin John Sinclair und hoffe, dass wir uns in den nächsten Tagen gut verstehen.«
»Das hoffe ich auch, Mr. Sinclair.« Diesmal sprach er Englisch. »Mein Onkel, der Bürgermeister von Petrila, hat mir viel von Ihnen und Ihrem chinesischen Freund berichtet. Sie haben ja wahre Wunderdinge vollbracht.«
Ich winkte ab. »Das ist kaum der Rede wert. Wichtig ist, dass Sie, Dragan, daran glauben, dass es Vampire gibt.«
»Die existieren tatsächlich!«
Ich runzelte die Stirn. »So fest davon überzeugt?«
Er nickte. »Noch fester.«
Ich begann mit einer Wanderung im Gepäckwagen, weil ich meinen Knochen ein wenig Bewegung gönnen wollte. Hin und her schritt ich, sah die zahlreichen Frachtstücke, die sich an den Innenwänden stapelten und auch in der Mitte des Ganges standen, wobei sie nur einen schmalen Weg freiließen.
Er verband zwei Türen. Eine war die Ausgangstür. Die andere befand sich in der Mitte des Wagens. Man hatte diesen Waggon also unterteilt. Vor der Mitteltür blieb ich stehen.
»Das ist seltsam, nicht?« hörte ich hinter mir die Stimme des jungen Rumänen.
»Allerdings.«
»Dass der Wagen so eingeteilt worden ist, hat seinen Grund.« An den Schritten hörte ich, wie er näher kam. Neben mir blieb er stehen. Er musste sich schräg stellen, da für uns beide der Gang nicht breit genug war. Mit dem rechten Zeigefinger deutete Dragan Domescu auf die Tür. Sein Gesicht lag im Schatten weil das Licht der beiden Lampen den Wagen nicht voll ausleuchtete.
»Wollen Sie raten, Mr. Sinclair, was hinter dieser Tür verborgen liegt?«
»Vielleicht Vampire?«
Er schaute mich groß an. »Woher wissen Sie das, Mr. Sinclair?«
Ich lachte. »Sagen Sie John und lassen Sie das Mister weg! Ich kann es mir einfach vorstellen, wenn Sie mir schon so eine Frage gestellt haben.«
»Wissen Sie, John, sicher bin ich auch nicht. Ich habe nur gesehen, dass fünf schwarze Särge
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