Vampir sein ist alles
andere Übernatürliche arbeitete und er ihm von den spanischen Dublonen oder was weiß ich für Münzen
erzählen konnte, die er 1771 in seine Matratze eingenäht hatte.
Ich schüttelte den Kopf. Je mehr ich über Sebastians anderes Leben erfuhr, desto sonderbarer wurde es.
Williams Wohnung war einen Block von der Straße mit den Häusern der Studentenverbindungen entfernt. Die meisten Gebäude in Universitätsnähe sahen reichlich heruntergekommen aus, und das Haus, in dem William wohnte, bildete da keine Ausnahme. Die Farbe an der Holzverkleidung war rissig und blätterte ab. Im Vorgarten lagen leere Bierflaschen zwischen Petunien und wildem Senf herum. Die Veranda hing fast bis zum Boden durch. Pfennigkraut und Fingerhirse
wetteiferten miteinander um die Herrschaft über den Rasen. Das Haus war derart von wildem Wein überwuchert, dass es beinahe unmöglich war, den Baustil zu erkennen.
Es war ein Mietshaus mit drei Wohnungen, und um zu William zu gelangen, musste man erst einmal über einen rissigen Betonweg auf die Rückseite des Gebäudes gehen. Eine nackte Glühbirne und eine Chilischoten-Lichterkette beleuchteten eine steile Treppe mit morschen Stufen, die der Hausbesitzer offenbar nachträglich gebaut hatte, um irgendwelchen Wohnungsbauvorschriften Genüge zu tun.
Ich schickte jedes Mal ein Stoßgebet mit der Bitte um geflügelte Füße zum Himmel, wenn das Holz unter meinem Gewicht knarrte. Höhenangst hatte ich eigentlich nicht, aber es war mir unerträglich, dass man zwischen den Stufen hindurchschauen konnte. Ich wusste zwar, dass es gar nicht möglich war, doch ich befürchtete immer, durch die Zwischenräume auf die farnbewachsene Terrasse zu stürzen.
Ich hatte kaum angeklopft, da öffnete mir Xylia auch schon lächelnd die Tür. Sie trug ein T-Shirt mit der Aufschrift Fleisch ist Mord , eine abgeschnittene Jeans und dicke Stiefel. „Sebastian kommt nicht?“, fragte sie und schaute um mich herum, als rechnete sie damit, dass er plötzlich aus der Dunkelheit hinter mir auftauchen würde.
„Er ist ..." Tja, was? Verschwunden? In Schwierigkeiten? Auf Tour, wie Larry und Walter angedeutet hatten? „Leider unabkömmlich.“
„Klingt ja wichtig“, sagte sie und trat zur Seite, um mich hereinzulassen.
Von außen war das Haus zwar schäbig, aber in Williams Wohnzimmer sah es aus wie im Katalog von SultanChic. An den Fenstern hingen indische Gazevorhänge mit Spiegelplättchen. Die Sofas, von denen es mehrere in unterschiedlichen Farben und Größen gab, waren mit Veloursbezügen und mit bunt gemusterten Kissen dekoriert. In den Ecken und auf sämtlichen Bücherregalen brannten Kerzen. Zwischen den Büchern zu allen erdenklichen religiösen und spirituellen Themen, einschließlich UFOs und Entführungen durch Außerirdische, standen huldvoll lächelnde Statuen von verschiedenen indischen Göttern und Göttinnen.
Es roch sogar angenehm bei William: nach Zimt und frisch gebackenem Brot.
Wegen der vielen Kerzen und der zahlreichen Gäste hätte es eigentlich ziemlich stickig im Raum sein müssen, doch das verhinderte glücklicherweise die kleine Klimaanlage am Fenster.
Kaum war ich ins Licht getreten, bemerkte Xylia meinen Verband. „Was ist mit deinem Hals passiert?“, fragte sie, doch bevor ich antworten konnte, verzog sie den Mund. „Oh, ach so ... Hör mal, es geht mich zwar nichts an, aber Sex, bei dem jemand verletzt wird, ist in meinen Augen keine gute Sache. Du solltest ihm nicht gestatten, so etwas mit dir zu machen.“
„Das war gar nicht Sebastian!“, erwiderte ich und hätte am liebsten meinen Kragen hochgeschlagen, um den Verband besser zu verdecken. Nach dem Gespräch mit Larry und Walter wusste ich ganz genau, wie wenig überzeugend meine Antwort klang. Aber was sollte ich sonst sagen? „Ich wäre fast von einem Windspiel erwürgt worden“, klang ungefähr so glaubwürdig wie das klassische „Ich bin in eine Glastür gelaufen“.
In Xylias Gesicht malten sich Mitleid und Missbilligung. „Vampire, ganz gleich welcher Art, sind Parasiten. Du hast etwas Besseres verdient.“
Hey, es war mein Verlobter, den sie da beleidigte, und ihr Zorn weckte sofort mein Misstrauen. „Hast du etwas gegen Vampire?“
„Allerdings“, antwortete Xylia und stemmte eine Hand in die Hüfte. „Frauen brauchen solche Männer nicht – Männer, denen einer abgeht, wenn sie uns verletzen.“
Uns? Sprach sie womöglich aus Erfahrung? „Was immer Sebastian und ich tun, geschieht in
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