Vampire Academy 02 ● Blaues Blut
davorstand, die Waffe zu berühren, nach der ich mich seit Kindertagen sehnte. Die Erinnerung an das Haus der Badicas stieg abermals in mir auf. Die Strigoi waren da draußen. Ich musste mich konzentrieren.
Zögernd, beinahe ehrfürchtig streckte ich die Hand aus und schloss die Finger um den Griff. Das Metall war kühl und kribbelte auf meiner Haut. Der Griff war mit Kerben versehen, damit man ihn fester halten konnte; der Pflock selbst dagegen war so glatt wie Glas. Ich spürte es, als ich die Finger darübergleiten ließ. Ich nahm den Pflock aus seiner Hand und ließ mir lange Zeit, die Waffe zu studieren und mich an ihr Gewicht zu gewöhnen. Meine Ungeduld drängte mich, sofort damit auf die Dummys loszugehen, stattdessen blicke ich zu Dimitri auf und ich fragte: „Was soll ich zuerst tun?”
Auf die für ihn typische Weise kam er zuerst auf die Grundlagen zu sprechen und korrigierte die Art, wie ich den Pflock hielt und mich mit ihm bewegte. Später erlaubte er mir endlich, einen der Dummys anzugreifen, und ich fand heraus, dass es nicht mühelos war.
Die Evolution hatte einen klugen Schritt ge t an, als sie das Herz mit dem Brustkorb und den Rippen schützte. Doch während der ganzen Zeit ließ Dimitri in seiner Gewissenhaftigkeit und Geduld niemals nach; er leitete mich durch jeden Schritt und korrigierte jede Kleinigkeit.
„Sie müssen den Pflock in einer Aufwärtsbewegung zwischen den Rippenbögen hindurchführen”, erklärte er, während er beobachtete, wie ich versuchte, die Spitze des Pflocks durch eine Lücke zwischen den Knochen zu manövrieren. „Da Sie kleiner sind als die meisten Ihrer Angreifer, wird Ihnen das sicher nicht allzu schwerfallen. Außerdem können Sie Ihren Stoß an der unteren Rippe entlangführen.”
Als das Training endete, nahm er den Pflock wieder an sich und nickte mir anerkennend zu. „Gut. Sehr gut.”
Ich sah ihn überrascht an. Er war normalerweise sehr sparsam mit Lob. „Wirklich?”
„Sie handhaben den Pflock, als würden Sie schon seit Jahren damit umgehen.”
Ein entzücktes Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus, als wir uns anschickten, den Trainingsraum zu verlassen. Als wir uns der Tür näherten, bemerkte ich einen Dummy mit lockigem, rotem Haar.
Plötzlich stiegen die Ereignisse während Stans Kurs wieder in mir auf. Ich runzelte finster die Stirn.
„Darf ich beim nächsten Mal den da pfählen?”
Dimitri griff nach seinem Mantel und schlüpfte hinein. Er war lang und braun und aus künstlich gealtertem Leder gemacht. Außerdem hatte er große Ähnlichkeit mit einem Cowboymantel, obwohl Dimitri das niemals zugegeben hätte. Der Wilde Westen erfüllte ihn mit einer heimlichen Faszination. Ich verstand es im Grunde nicht, aber andererseits kapierte ich auch seine komischen Vorlieben in puncto Musik nicht.
„Ich glaube nicht, dass das gesund wäre”, meinte er.
„Es wäre besser, als wenn ich es mit ihr machen würde”, brummte ich, während ich mir meinen Rucksack über die Schulter wuchtete.
Wir verließen die Turnhalle.
„Gewalt ist keine Lösung für Ihre Probleme”, sagte er weise.
„Sie ist diejenige mit dem Problem. Und ich dachte, der Sinn meiner Ausbildung sei der, dass Gewalt die Lösung ist.”
„Nur jenen gegenüber, die Ihnen zuerst gewalttätig gegenübertreten. Ihre Mutter greift Sie nicht an. Sie beide sind sich einfach zu ähnlich , das ist alles.”
Ich blieb jäh stehen. „Ich bin ganz und gar nicht wie sie! Ich meine .... wir haben irgendwie die gleichen Augen. Aber ich bin viel größer. Und mein Haar ist ganz anders.” Ich zeigte auf meinen Pferdeschwanz, nur für den Fall, dass ihm nicht aufgefallen war, dass mein dickes, braunschwarzes Haar ganz und gar nicht so aussah wie die kastanienbraunen Locken meiner Mutter.
Seine Miene verriet noch immer Erheiterung, aber in seinen Augen stand ein harter Ausdruck. „Ich rede nicht über Ihr Äußeres, und das wissen Sie auch.”
Ich wandte mich von diesem wissenden Blick ab. Ich hatte mich fast vom ersten Augenblick an zu Dimitri hingezogen gefühlt - und das lag nicht nur daran, dass er so heiß war. Ich hatte das Gefühl, als verstünde er einen Teil von mir, den ich nicht einmal selbst verstand, und manchmal war ich mir ziemlich sicher, dass ich Teile von ihm verstand, die auch ihm unbegreiflich waren.
Das einzige Problem war, dass er die ärgerliche Neigung hatte, mich in Bezug auf mich selbst auf Dinge hinzuweisen, die ich gar nicht verstehen wollte.
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