Vampire Academy 04
versuchte herauszufinden, was hier vor sich ging. Warum zum Henker sollte sich irgendjemand – insbesondere Menschen, die mit der Moroi-Welt zu tun hatten – dafür interessieren, wohin ein einziger Dhampir-Teenager ging? Ich glaubte nicht, dass Sydney irgendwelche fiesen Hintergedanken hatte – es sei denn, sie war eine sehr, sehr gute Schauspielerin. Doch die Leute, denen sie unterstellt war, verfolgten offensichtlich eine gewisse Absicht, und es gefiel mir nicht, jemandem in die Hände zu spielen. Gleichzeitig brannte ich natürlich darauf, diese Sache hinter mich zu bringen. Jeder Tag, der verstrich, war ein weiterer Tag, an dem ich Dimitri nicht fand.
„Wann können wir aufbrechen?“, fragte ich schließlich. Sydney, so sagte ich mir, war doch wohl eher eine Büromaus. Sie hatte bisher jedenfalls kein echtes Geschick darin gezeigt, mich aufzuspüren. Bestimmt würde es nicht allzu schwierig werden, sie unterwegs abzuschütteln, sobald wir Dimitris Stadt nahe genug waren.
Meine Antwort schien sie irgendwie zu enttäuschen, beinahe so, als hätte sie gehofft, ich würde ablehnen, und sie wäre dann vom Haken. Sie wollte mich ebenso wenig begleiten, wie ich sie bei mir haben wollte. Schließlich öffnete sie ihre Handtasche, nahm ihr Handy wieder heraus, hantierte ein paar Minuten lang damit herum und ermittelte die Abfahrtzeiten passender Zugverbindungen. Sie präsentierte mir den Fahrplan für den nächsten Tag.
„Ist das okay für dich?“
Ich betrachtete das Display und nickte. „Ich weiß, wo dieser Bahnhof ist. Ich werde dort sein.“
„In Ordnung.“ Sie stand auf und warf etwas Kleingeld auf den Tisch. „Wir sehen uns dann morgen.“ Sie marschierte los und drehte sich nach einigen Schritten noch einmal zu mir um. „Oh, und du kannst den Rest meiner Pommes haben.“
Nach meiner Ankunft in Russland war ich zunächst nur in Jugendherbergen abgestiegen. Ich hatte zwar genug Geld, um anderswo unterzukommen, aber ich hatte niemanden auf mich aufmerksam machen wollen. Außerdem stand Luxus für mich zu keiner Zeit an erster Stelle. Seit ich jedoch in die Nachtigall ging, waren Jugendherbergen nicht mehr infrage gekommen. Ich hatte wohl kaum mit einem Designerkleid in eine Pension voller jugendlicher Rucksacktouristen zurückkehren können.
Also hatte ich mich in ein schniekes Hotel voller Männer, die einem stets die Türen offen hielten, und einer Lobby mit einem Boden aus Marmor einquartiert. Die Lobby war so groß, dass vermutlich eine ganze Herberge hineingepasst hätte. Vielleicht sogar zwei Herbergen. Mein Zimmer war ebenfalls riesig und völlig übertrieben eingerichtet, aber ich war dankbar, als ich es jetzt erreichte und aus meinen hochhackigen Schuhen und dem Kleid schlüpfen konnte. Mit einem Anflug von Bedauern wurde mir bewusst, dass ich die Kleider, die ich in Sankt Petersburg gekauft hatte, würde zurücklassen müssen. Ich wollte lieber mit leichtem Gepäck durchs Land reisen, und obwohl mein Rucksack ziemlich groß war, konnte ich ohnehin nur eine begrenzte Last mit mir herumschleppen. Ach, na ja, diese Kleider würden garantiert irgendeine Putzfrau glücklich machen. Der einzige Schmuck, den ich wirklich brauchte, war mein Nazar, ein Amulett, das aussah wie ein blaues Auge. Es war ein Geschenk von meiner Mutter, die es ihrerseits von meinem Vater geschenkt bekommen hatte. Ich trug es immer um den Hals.
Unsere Bahn nach Moskau fuhr am späten Vormittag ab, und von dort würden wir einen Zug quer durchs Land nach Sibirien nehmen. Ich wollte gut ausgeruht sein und bereit für alles, was da kommen mochte. Sobald ich meinen Pyjama anhatte, kuschelte ich mich unter die schwere Bettdecke und hoffte, dass der Schlaf bald kommen würde. Stattdessen wirbelten in meinem Kopf all die Dinge umher, die in letzter Zeit geschehen waren. Die Sydney-Situation hatte eine bizarre Wendung genommen, aber eine, mit der ich fertig werden konnte. Solange wir uns an öffentliche Verkehrsmittel hielten, konnte sie mich wohl kaum in die Fänge ihrer mysteriösen Vorgesetzten führen. Und nach allem, was sie über unsere Reisezeit gesagt hatte, würde es tatsächlich ungefähr zwei Tage dauern, das Dorf zu erreichen. Zwei Tage erschienen mir gleichzeitig unendlich lang und viel zu kurz.
Das bedeutete, dass ich durchaus schon in wenigen Tagen vor Dimitri stehen konnte … aber was dann? Konnte ich es tun? Konnte ich mich wirklich dazu überwinden, ihn zu töten? Und selbst wenn ich mich dazu durchrang,
Weitere Kostenlose Bücher