Vampire Academy 05
und obwohl wir einander immer noch kaum kannten, hatte er große Mühen auf sich genommen, um hierherzukommen und in seinem grauen Anzug so hereinzuschlendern und mich zu verteidigen. War das fehlgeleitete Vaterliebe? Taugte er wirklich etwas als Anwalt? Und unterm Strich, stimmte es, dass Blut dicker war als Wasser? Ich wusste es nicht. Tatsächlich gefiel mir dieses Sprichwort ohnehin nicht. Vielleicht galt es für Menschen, aber bei Vampiren ergab es keinen Sinn.
Wie dem auch sei, Abe sah mich mit seinen dunkelbraunen Augen aufmerksam an, die fast identisch mit meinen waren. Vertrau mir, schien er zu sagen. Aber konnte ich das? Konnte ich meiner Familie vertrauen? Ich hätte meiner Mutter vertraut, wenn sie hier gewesen wäre – und ich wusste, dass sie Abe vertraute.
Ich seufzte und deutete auf meinen Vater. „Ich werde ihn nehmen.“ Mit leiserer Stimme fügte ich hinzu: „Lass mich nicht im Stich, Zmey.“
Abes Lächeln wurde breiter, während aus dem Publikum schockierte Ausrufe kamen und Daimon entrüstet protestierte. Daniella hatte ihn zwar ursprünglich überreden müssen, meinen Fall anzunehmen, aber jetzt war diese Angelegenheit für ihn eine Frage des Stolzes geworden. Sein Ruf war gerade besudelt worden, indem ich ihm einen anderen vorgezogen hatte.
Aber ich hatte meine Entscheidung nun einmal getroffen, und die verärgerte Richterin wollte keine weiteren Argumente mehr hören. Sie scheuchte Daimon weg, und Abe ließ sich auf seinen Platz gleiten. Die Richterin begann mit der Standarderöffnung und erklärte, warum wir hier waren etc., etc. Während sie sprach, beugte ich mich zu Abe hinüber.
„Was hast du mir da eingebrockt?“, zischte ich ihm zu.
„Ich? Was hast du dir eingebrockt? Hätte ich dich nicht einfach wegen unerlaubten Alkoholkonsums auf dem Polizeirevier auflesen können wie die meisten Väter?“
Ich begriff allmählich, warum sich die Leute ärgerten, wenn ich in gefährlichen Situationen Scherze machte.
„Meine verdammte Zukunft steht auf dem Spiel! Sie werden mich vor Gericht stellen und mich verurteilen!“
Jede Spur von Humor oder Belustigung verschwand aus seinem Gesicht. Seine Miene wurde hart und todernst. Mich überlief ein kalter Schauder.
„Das“, sagte er mit leiser, entschiedener Stimme, „ist etwas, das dir nie, niemals zustoßen wird, das schwöre ich.“
Die Richterin wandte ihre Aufmerksamkeit wieder uns und der Staatsanwältin zu, einer Frau namens Iris Kane. Kein königlicher Name zwar, aber sie sah trotzdem ziemlich beängstigend aus. Vielleicht, weil sie Anwältin war.
Bevor die Beweise gegen mich vorgelegt wurden, wurde die Ermordung der Königin in allen schauerlichen Einzelheiten beschrieben. Dass man sie an diesem Morgen im Bett vorgefunden hatte, einen silbernen Pflock im Herzen und einen Ausdruck tiefen Entsetzens und Schocks auf dem Gesicht. Überall war Blut gewesen: auf ihrem Nachthemd, den Laken, ihrer Haut … Man zeigte die Bilder allen Anwesenden im Raum, was eine Vielzahl von Reaktionen auslöste. Überraschtes Aufkeuchen. Eher Furcht und Panik. Und einige … einige Leute weinten. Manche dieser Tränen galten zweifellos der ganzen schrecklichen Situation, aber ich denke, viele weinten auch, weil sie Tatiana geliebt oder zumindest gemocht hatten. Sie hatte bisweilen kalt und steif sein können, aber ihre Herrschaft war größtenteils eine friedliche und gerechte gewesen.
Nach den Bildern wurde ich aufgerufen. Die Anhörung verlief nicht so wie eine normale Gerichtsverhandlung. Es gab kein geregeltes Nacheinander bei der Befragung von Zeugen. Sie standen einfach jeder irgendwie da und stellten abwechselnd Fragen, während die Richterin für Ordnung sorgte.
„Ms Hathaway“, begann Iris, wobei sie meinen Titel wegließ. „Um welche Uhrzeit sind sie gestern Nacht in Ihr Zimmer zurückgekehrt?“
„Die genaue Zeit weiß ich nicht …“ Ich konzentrierte mich auf sie und Abe, nicht auf das Meer von Gesichtern dort draußen. „Irgendwann gegen fünf Uhr nachmittags, glaube ich, vielleicht auch um sechs.“
„War jemand bei Ihnen?“
„Nein, hm – ja. Später.“ O Gott. Jetzt kommt es. „Ehm, Adrian Ivashkov hat mich besucht.“
„Um genau welche Uhrzeit ist er eingetroffen?“, fragte Abe.
„Das weiß ich auch nicht mehr ganz genau. Einige Stunden, nachdem ich zurückgekommen bin, meine ich.“
Abe richtete sein charmantes Lächeln auf Iris, die mit einigen Papieren raschelte. „Man konnte den Zeitpunkt der Ermordung
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