Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
gewarnt worden war. Zwang, so hatte es in Tatianas Brief gestanden.
„Ich weiß es nicht genau“, antwortete Lissa. Sie las den Brief noch einmal durch. „Was hat es mit den Experimenten auf sich? Glaubt ihr, das bezieht sich auf das Training, dem Grant einige Moroi unterzogen hat?“
„Daran habe ich auch schon gedacht“, meinte Ambrose. „Aber sicher bin ich mir nicht.“
„Können wir auch den Rest sehen?“, fragte Adrian und zeigte auf den Stapel Papiere. Ich konnte nicht erkennen, ob sein Argwohn einem echtem Misstrauen, das er Ambrose gegenüber empfand, oder lediglich der Aufregung über die Ermordung seiner Tante zu verdanken war.
Ambrose übergab ihnen die Papiere, aber nachdem Lissa sie durchgesehen hatte, stimmte sie ihm zu: Es war nichts Nützliches dabei. Die Dokumente bestanden zum größten Teil aus juristischer und persönlicher Korrespondenz. Lissa kam der Gedanke – wie zuvor auch schon mir –, dass Ambrose vielleicht nicht alles herzeigte, was er gefunden hatte. Im Augenblick ließ sich das jedoch unmöglich beweisen. Lissa unterdrückte ein Gähnen, dankte Ambrose und ging zusammen mit den anderen davon.
Eigentlich hatte sie sich etwas Schlaf erhofft, aber in Gedanken musste sie zunächst analysieren, welche Möglichkeiten sich aus dem Brief ergaben. Falls er echt war.
„Der Brief ist ein Beweis dafür, dass jemand viel mehr Grund hatte, auf Tatiana sauer zu sein, als Rose“, bemerkte Christian, während sie die Treppe hinaufgingen, die sie zum Ausgang führte. „Tante Tasha hat einmal gesagt, dass Wut, wenn sie auf berechnender Vernunft basiert, gefährlicher sei als solche, die sich auf blinden Hass gründet.“
„Deine Tante ist eine echte Philosophin“, sagte Adrian erschöpft. „Aber wir haben nach wie vor bloß Indizien.“
Ambrose hatte Lissa erlaubt, den Brief zu behalten, und so hatte sie ihn zusammengefaltet in ihre Jeanstasche gesteckt. „Ich bin neugierig, was Tasha dazu zu sagen hat. Und Abe.“ Sie seufzte. „Ich wünschte, Grant würde noch leben. Er war ein guter Mann – und hätte vielleicht mehr gewusst.“
Sie erreichten einen Nebenausgang im Erdgeschoss, und Eddie drückte die Tür für sie auf. Christian sah zu Lissa hinüber, während sie ins Freie traten. „Wie nah haben sich Grant und Serena .... “
Eddie reagierte einen Sekundenbruchteil, bevor Lissa das Problem erkannte, aber natürlich hatte sich Eddie bereits umgesehen. Ein Mann – ein Moroi – hatte unter einigen Bäumen im Innenhof zwischen Ambroses Gebäude und dem benachbarten gewartet. Es war zwar nicht direkt ein abgeschiedenes Plätzchen, aber doch weit genug entfernt von den Hauptwegen, sodass es häufig verlassen war.
Der Mann trat vor und wirkte erschrocken, als er Eddie auf sich zulaufen sah. Ich konnte den Kampf auf eine Weise analysieren, wie es Lissa nicht möglich war. Der Herangehensweise des Mannes nach zu urteilen hatte er es auf Lissa abgesehen – mit einem Messer in der Hand. Lissa erstarrte vor Furcht, wie sie von jemandem zu erwarten war, der nicht dafür ausgebildet war, auf eine solche Situation zu reagieren. Aber als Christian sie packte, wurde sie plötzlich wieder lebendig und wich hastig mit ihm und Adrian zurück.
Zwischen dem Angreifer und Eddie stand es einen Moment lang unentschieden, während der eine versuchte, den anderen niederzuringen. Ich hörte Lissa um Hilfe schreien, aber meine Aufmerksamkeit galt ganz den Kämpfenden. Der Mann war recht stark für einen Moroi, und seine Manöver legten die Vermutung nahe, dass er zum Kampf ausgebildet worden sei. Ich bezweifelte jedoch, dass er seit Grundschulzeiten trainiert hatte, zumal er auch nicht über die Muskeln eines Dhampirs verfügte.
Und tatsächlich, Eddie brach durch und warf den Mann gewaltsam zu Boden. Daraufhin wollte er die rechte Hand des Moroi nach unten drücken und das Messer aus der Gleichung herausnehmen. Aber Moroi oder nicht, der Mann war tatsächlich ziemlich geschickt mit der Klinge, bemerkte ich, besonders als ich (und wahrscheinlich auch Eddie) die Narben sah, dazu etwas an seiner linken Hand, das wie ein gekrümmter Finger aussah. Der Mann hatte wahrscheinlich sehr viel darin investiert, seine Reflexe mit der Messerhand zu verbessern. Obwohl er festgehalten wurde, konnte er die Klinge heben, und zielte nun, ohne zu zögern, auf Eddies Hals. Eddie war jedoch zu schnell und blockte den Schlag mit dem Arm ab, sodass das Messer den Arm traf und nicht den Hals.
Eddies Blockadeaktion
Weitere Kostenlose Bücher