Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
bist kein Anwalt“, rief ich ihm ins Gedächtnis zurück. „Und dein letzter Rat hat auch schon nicht besonders viel genutzt.“ Das war gemein von mir. Abe hatte mich – obwohl er nicht die geringste juristische Ausbildung besaß – bei meiner Anhörung verteidigt. Natürlich war bei der Sache nicht viel herausgekommen. Immerhin hatte man mich eingesperrt, und ich wartete auf eine Verhandlung. Aber in meiner ganzen Einsamkeit hatte ich irgendwann begriffen, dass er in einem Punkt doch recht gehabt hatte. Kein Anwalt, wie gut er auch sein mochte, hätte mich bei der Anhörung retten können. Ich musste ihm zugutehalten, dass er für eine verlorene Sache kämpfte, obwohl ich angesichts unserer oberflächlichen Beziehung immer noch nicht so genau wusste, warum er sich eigentlich dafür entschieden hatte. Die Theorien, die mir am wahrscheinlichsten erschienen, lauteten, dass er den Royals nicht traute und eine gewisse väterliche Verpflichtung verspürte. Und zwar in dieser Reihenfolge.
„Mein Auftritt war doch großartig“, wandte er ein. „Während uns deine beeindruckende Ansprache – in der du sagtest: Wenn ich die Mörderin wäre – nicht gerade weitergeholfen hat. Es war nicht unbedingt das Klügste, dem Richter dieses Bild in den Kopf zu setzen.“
Ich überhörte die spitze Bemerkung und verschränkte die Arme vor der Brust. „Also, was tust du hier? Ich weiß, es ist nicht nur ein väterlicher Besuch. Du tust niemals etwas ohne Grund.“
„Natürlich nicht. Warum sollte man auch etwas ohne Grund tun?“
„Verschone mich jetzt bloß mit deinen Zirkelschlüssen!“
Er zwinkerte mir zu. „Musst nicht gleich eifersüchtig sein. Wenn du hart arbeitest und es dir fest vornimmst, dann könntest du meine brillanten logischen Fähigkeiten vielleicht eines Tages erben.“
„Abe“, warnte ich ihn. „Komm zur Sache!“
„Schön, schön“, sagte er. „Ich bin hier, um dir zu sagen, dass deine Verhandlung vielleicht vorverlegt wird.“
„W-was? Das sind ja großartige Neuigkeiten!“ Zumindest dachte ich das. Sein Gesichtsausdruck sagte allerdings etwas anderes. Nach meinen letzten Informationen konnten noch Monate bis zu meiner Verhandlung vergehen. Der bloße Gedanke daran – so lange in dieser Zelle zu sitzen – bescherte mir erneut ein Gefühl der Klaustrophobie.
„Rose, dir ist doch klar, dass deine Verhandlung fast genauso verlaufen wird wie deine Anhörung. Dieselben Beweise und am Ende ein Schuldspruch.“
„Ja, aber es muss doch irgendetwas geben, das wir vorher tun können, oder nicht? Beweise finden, die mich reinwaschen?“ Plötzlich ging mir ein Licht auf, worin das Problem bestand. „Wenn du vorverlegt sagst, was genau bedeutet das?“
„Im Idealfall würden sie die Verhandlung ansetzen, nachdem ein neuer König oder eine neue Königin gekrönt wurde. Du weißt schon, als Teil der Feierlichkeiten nach der Krönung.“
Sein Tonfall war schnodderig, aber als ich ihm in die dunklen Augen sah, begriff ich die volle Bedeutung seiner Worte. Zahlen ratterten in meinem Kopf herunter. „Die Beerdigung ist diese Woche, und die Wahlen finden gleich danach statt .... also willst du damit sagen, dass ich in, na ja, sozusagen in zwei Wochen vor Gericht gestellt und verurteilt werden könnte?“
Abe nickte.
Ich flog wieder zu den Gitterstäben hinüber, das Herz hämmerte mir in der Brust. „Zwei Wochen? Ist das dein Ernst?“
Als er gesagt hatte, die Verhandlung sei vorverlegt worden, war ich davon ausgegangen, dass er vielleicht von einem Monat sprach. Genug Zeit also, um neue Beweise zu finden. Wie? Das wusste ich auch nicht. Jetzt lief mir die Zeit davon. Zwei Wochen reichten auf keinen Fall aus, erst recht nicht angesichts des hektischen Treibens bei Hof. Noch vor wenigen Sekunden hatte mir die lange Zeitspanne, die mir vielleicht bevorstand, zutiefst missfallen. Jetzt aber empfand ich das ohne Zweifel als zu wenig Zeit, und die Antwort auf meine nächste Frage konnte sogar alles noch einmal verschlimmern.
„Wie lange?“, fragte ich und versuchte, das Zittern in meiner Stimme zu beherrschen. „Wie lange vergeht dann nach der Verkündung des Urteils bis zur .... Vollstreckung?“
Ich wusste noch immer nicht genau, was ich alles von Abe geerbt hatte, aber eine Eigenschaft teilten wir offenbar ohne jeden Zweifel: die Fähigkeit, schlechte Nachrichten zu überbringen, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Wahrscheinlich sofort.“
„Sofort.“ Ich ging rückwärts, setzte mich
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