Vampire City
wohl dazu gekommen war.
Er schüttelte den Kopf und ließ das Auto von seinem dunklen Lachen erhallen.
„Aber sonst noch alles fit? Deine Eltern sind total nette Leute, aber die reinsten Langweiler. Die würden nicht mal mit Mineralwasser dealen, wenn das möglich wäre, auch wenn sie ein florierendes Geschäft haben. Du kommst auf Ideen.“
Er pfiff durch die Zähne, sein Grinsen war wie eingemeißelt.
„Wie redest du denn über meine Eltern?“, rief ich entrüstet. „Du kennst sie doch sicher kaum.“
„Sei dir da bloß mal nicht so sicher. Ich kenne die beiden besser als du denkst. Und was hast du gerade behauptet? Dass sie in ihrer Fischkneipe Gras anbauen. Seegras wahrscheinlich.“
Er lachte unwiderstehlich.
Blöder Gedanke und völlig fehl am Platze! Ich fand es hingegen gar nicht komisch.
„Also ist es das nicht“, sagte ich zufrieden. Immerhin war ich schon etwas schlauer als vorher.
„Trotzdem weißt du nun auch nicht mehr“, erinnerte mich Brandon, nachdem er sich wieder gefangen hatte.
Da musste ich ihm innerlich leider recht geben. Es wurde still im Auto, Blood schnarchte leise, das Radio war nicht an, worüber ich froh war, musste ich doch erst einmal alles ordnen.
Ich schaute geistesabwesend aus dem Fenster, sah mich selbst schemenhaft darin, dahinter die vorbei fliegenden Häuser einer Stadt. Vorgärten, eine Kirche, einen Spielplatz. Alles getaucht in silbernes Mondlicht, der Boden bedeckt von Schnee. Es war kurz vor elf Uhr nachts, während ich mit einem wildfremden Mann auf der Flucht war. Doch wovor? Wer war hinter mir her? Ich hatte mir nichts zu schulden kommen lassen. Hatte ich mir insgeheim nicht immer solche Eskapaden gewünscht? Ein Ausbruch aus meinem viel zu bequemen Dasein?
Ich kam mir plötzlich vor wie die Heldin aus meinen Büchern oder in den Filmen, die einen aufregenden Lebensstil ihr Eigen nannte, umschwärmt wurde, der alles nur so in die Hände fiel. Aber so würde es nicht sein, oder? Ich meine, allein schon diese Vorstellung war so abwegig, dass ich müde lächeln musste. Wenn meine Eltern wirklich Drogendealer wären, müssten sie auch schon längst aus ihrem Zuhause abgehauen sein. Aber sie waren noch da, sonst hätte mein Vater nicht gesagt, dass meine Mutter noch im Restaurant wäre. Was hatte ich nur für ein Problem? Vertraute ich meinen Eltern nicht? Und wenn ich mir alles gründlich durch den Kopf gehen ließ, konnte ich eine Sache nicht entkräften. Meine Eltern hatten etwas vor mir verheimlicht, sonst wäre ich nicht gerade hier, unterwegs ins Ungewisse. Wie sah es in dieser Beziehung mit Vertrauen aus? Was hatten sie mir verschwiegen? Ich erinnerte mich an meinen letzten Besuch, als meine Mutter so gedankenverloren gewesen war, dachte daran, wie mein Vater um mich immer so sehr besorgt erschienen war. Und ich hatte stets geglaubt, dass ich mir das alles nur eingebildet hatte. Dass es aus meiner breit gefächerten Fantasie entsprungen war. Sie mussten die ganzen Jahre etwas geahnt haben. Da war etwas, das sich wie ein Güterzug auf mich zubewegte, ohne die Geschwindigkeit zu zügeln, ohne Erbarmen zu haben, dass ich auf den quietschenden Schienen lag. Es hatte mit damals zu tun. Man hatte mich gefunden. Mir wurde übel.
Brandon bog auf eine weitere Landstraße ein, als ich die Hand vor den Mund schlug, diesmal aber nicht, weil mir etwas Schlimmes einfiel, sondern weil ich mich übergeben musste. Galle stieg in mir hoch, heiß und unaufhaltsam. Er verstand sofort, stoppte den Wagen, entriegelte die Tür, löste den Gurt und ließ mich darunter herausschlüpfen. Ich schaffte es nur zwei Meter, dann kotzte ich mir die Seele aus dem Leib.
Mein Körper krümmte sich, mein Magen und Hals brannten, als hätte ich Feuer hinuntergeschluckt, während sich mein Innerstes nach Außen kehrte. Ich kniete im Schnee, die Jeans waren an den Knien schon durchnässt. Mir war es egal, ich wollte nur, dass es endlich aufhörte. Tränen kullerten meine Wangen hinunter, heiß und schwer. Brandon stand hinter mir und hatte mir meinen Mantel umgelegt. Blood schnüffelte ein Stückchen von uns weg herum, fraß Schnee und pinkelte laufend an alle möglichen Bäume. Wenigstens er schien glücklich und befreit. Ich schämte mich, dass ich bei einem solch intimen Schauspiel beobachtet wurde. Brandon aber schien es nichts auszumachen. Stumm wartete er, kniete sich manchmal zu mir hinunter, streichelte ab und an meinen Rücken, was mir einen angenehmen Schauer darüber jagte.
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