Vampire küssen besser
mein Blutdurst war geweckt. Ich schüttelte den Kopf, wie um solche Ideen abzuwehren, und konzentrierte mich eisern auf ein paar bunte Plakate, die für eine Fernsehserie warben. Unterdessen versuchte ich, den fauligen Geruch der Regenpfützen zwischen den Gleisen zu ignorieren, den Gestank nach abgestandenem Urin dort, wo Betrunkene vom Bahnsteig aus auf die Gleise gepinkelt hatten, und das Quieken der Ratten weit hinten im Tunnel, der aus dem Bahnhof in Richtung Uptown führte. Doch meine Sinne wurden von der dunklen Seite angezogen, der Verlockung nächtlicher Streifzüge, die meine Seele heimsuchte.
Teils um diesem Sog zu widerstehen, blieb ich in der beleuchteten Ecke des Bahnsteigs, in Sichtweite des U-Bahn-Angestellten, der hinter dem Drehkreuz an seinem Schalter saß. Ich warf einen ungeduldigen Blick auf meine Uhr, lief dann doch zum Ende des Bahnsteigs, um in den dunklen Tunnel zu spähen, in der Hoffnung, das gelbe Scheinwerferlicht eines herannahenden Zuges zu sehen. Dabei fiel mir ein Mann ins Auge, der, vielleicht zehn Meter von mir entfernt, wartend auf dem Bahnsteig stand. Ich hätte schwören können, dass er eben noch nicht da gewesen war.
Er sah mich nicht an, jedenfalls in dem Moment noch nicht. Sein Blick wanderte ziellos über die Gleise zum Downtown-Bahnsteig gegenüber. Er trug Jeans und eine teuer aussehende braune Fliegerjacke aus Leder. Breitbeinig und lässig stand er da, die Hände in den Taschen. Was mich jedoch aus der Fassung brachte, waren seine schwarze Schiebermütze und der blonde Pferdeschwanz. Mein erster Gedanke war: Das ist der Typ, der mir zu Sids Wohnung gefolgt war. Im zweiten Gedanken war ich mir nicht mehr sicher. Als wüsste er, dass ich ihn taxierte, drehte er sich langsam zu mir um und blickte mir direkt ins Gesicht, mit loderndem Blick.
Mein Körper spannte sich an, und mein Herz begann zu hämmern. Die unterschiedlichsten Gefühle durchfluteten mich. Mein Instinkt riet mir, auf der Hut zu sein und mich zur Flucht bereitzumachen. Meine Vernunft stellte fest, dass er phantastisch aussah, ein männliches Model, bis auf die runzlige Narbe, die sich über einen Wangenknochen zog. Gleich darauf hörte ich die Alarmglocken in meinem Inneren losschrillen, denn mit einem Mal hatte er die Hände zu Fäusten geballt, und seine Miene war – schwer zu sagen – zornig, wenn nicht gar hasserfüllt. Jedenfalls nicht freundlich. In meinem Nacken richteten sich die Haare auf, und für einen Moment verspürte ich den Drang, mich zu verwandeln. Dann gewann jedoch meine Vernunft die Oberhand, und ich überlegte, ob ich nicht hoch zur Straße laufen und mir ein Taxi nehmen sollte. Noch während ich darüber nachdachte, trat der Mann einen Schritt vor. Ich bewegte mich rückwärts zum Drehkreuz und dachte, er käme mir nach, doch stattdessen tat er das Seltsamste überhaupt. Er blickte sich um, bis er die Drehtür mit den Querbalken aus Eisen entdeckte, die vom Bahnsteig zum Ausgang führte, und flitzte darauf zu. Er hieb mit der Hand dagegen, drehte sich hindurch und rannte über den Gang auf die dahinterliegende Treppe zu. Als Letztes blitzte sein Pferdeschwanz auf, und danach war er fort.
Ich stand wie erstarrt und stieß den Atem aus, den ich, ohne es zu wissen, angehalten hatte. War das derselbe Mann, der mir am Vortag gefolgt war? Er musste es gewesen sein. Ob er sich generell an Frauen heranpirschte und ihnen folgte? Nach einer Weile kam ich zu dem Schluss, dass er zur Organisation gehörte, mit dem Auftrag, mich im Auge zu behalten. Ich nahm mir vor, J am nächsten Tag danach zu fragen. Gleich darauf fuhr meine Bahn laut ratternd in den Bahnhof ein. Die Türen waren kaum geöffnet, da war ich schon drin und ließ mich auf einen Sitzplatz fallen. Mit einem Mal war ich müde bis auf die Knochen. Doch der Mann auf dem Bahnsteig ging mir nicht aus dem Sinn.
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Kapitel 3
Der Händler des Todes
E benso wie Cher besaß meine Zielperson nur einen einzigen Namen, und der lautete Bonaventure. Auf der Diskette fand ich unter anderem die Zusammenfassung seines Dossiers.
Bonaventure ist dreiunddreißig, wurde in Moskau geboren und bei der russischen Luftwaffe ausgebildet. Laut Interpol besitzt er fünf internationale Pässe, ausgestellt auf die Namen Johnny Danza, Juan Duarte, John Bono, John Best und John Good. Zudem ist er unter dem Spitznamen »Bluthund« bekannt. In einer jüngsten Studie der Vereinten Nationen wird er als weltweit führender »Händler des Todes«
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