Vampire küssen besser
und …« Tränen stiegen in Mar-Mars Augen. »Er wird mir immer fehlen. Wir waren Seelengefährten. Und er hat mir dich geschenkt.« Die ersten Tränen rannen über ihre Wangen.
Ich lerne es doch nie. Sobald der Name meines Vaters, Giambattista Castagna, fällt, fängt meine Mutter an zu heulen. Viel weiß ich über meinen Vater nicht. Meine Mutter zog mich allein auf, und ich hatte keinen Kontakt zu Menschen oder Vampiren, die ihn kannten. Falls ich es einmal wagte, nach ihm zu fragen, und wissen wollte, weshalb er nicht bei uns sei, weinte meine Mutter gleich los. Ich glaube, ihre Tränen waren echt, doch abgesehen davon waren sie eine wirksame Methode, jedes weitere Nachhaken meinerseits abzuwehren. Falls ich mich erkundigte, wie ihr Leben vor meiner Geburt ausgesehen hatte, erwiderte sie für gewöhnlich Dinge wie: »Wir müssen in der Gegenwart leben, Liebchen, nur das, was heute ist, zählt. Die Vergangenheit ist vorüber.« Ihre Geheimniskrämerei macht mir noch immer zu schaffen, denn mit Sicherheit weiß ich nur, dass Mar-Mar in Italien geboren wurde – im zehnten Jahrhundert. Doch wer ihre Mutter war oder wen sie vor meinem Vater geheiratet hat, erzählt sie mir nie. Dass sie vor meinem Vater zahlreiche Ehen geführt hat (unter ebenso zahlreichen Decknamen), entdeckte ich, als ich meine Mutter weltweit in Bibliotheksbüchern nachzuschlagen begann. Aber das, was ich da las, hat das Rätsel um sie nur noch vertieft.
»Morgen fange ich mit einem neuen Job an«, begann ich, in der Hoffnung, sie abzulenken.
Mar-Mar schniefte, und die Tränen versiegten. »Ach ja? Aber das ist ja wundervoll, Schätzchen! Für wen arbeitest du denn? Was musst du da machen?«
Ich hatte mir meine Legende bereits gemerkt, doch den Test hatte ich erst bestanden, wenn meine Mutter sie mir abnahm. »Ich soll Theaterfundstücke aus dem Neunzehnten Jahrhundert katalogisieren und restaurieren. Für den National Park Service.«
Irgendein Ausdruck – vielleicht Argwohn – huschte über Mar-Mars Gesicht. »Wie bist du denn daran gekommen?«
»Ach, ganz zufällig«, erwiderte ich und begab mich in die Küche, um mir etwas zu trinken zu holen. »Möchtest du ein Glas Mineralwasser?« Meine Mutter nickte. »
Frizzante
oder
naturale?
«, fragte ich und benutzte ihr zuliebe die italienischen Begriffe für mit oder ohne Kohlensäure.
»
Frizzante
«, entgegnete sie. »Mit einem Scheibchen Zitrone, wenn es nicht zu viele Umstände macht.« Sie kam mir hinterher. »Wie meinst du das –
zufällig?
«
»Erinnerst du dich noch an Cormac O’Reilly?« Ich öffnete eine Flasche Pellegrino, holte einen Zitronenschnitz aus dem Kühlschrank und reichte Mar-Mar ihr Getränk.
Sie nahm es und sagte: »Meinst du den Tänzer? Der Typ, der vor zwanzig Jahren in
A Chorus Line
war? Ich dachte, ihr redet nicht mehr miteinander.«
»Taten wir auch nicht, aber vor einer Weile bin ich ihm über den Weg gelaufen, und da haben wir uns versöhnt. Er arbeitet bei einem historischen Theaterprojekt mit und fand, das sei auch was für mich. Schließlich ist es von Vorteil, wenn man die Artefakte tatsächlich in Gebrauch gesehen hat.« Ich grinste. »Der NPS hat noch nach neuen Leuten gesucht, und ich habe den Job bekommen. Es ist nichts Festes, könnte aber interessant sein. In der letzten Zeit ist mir ein bisschen langweilig gewesen.«
»Müßiggang ist aller Laster Anfang«, murmelte Mar-Mar. »Warum arbeitest du nicht für Greenpeace? Da ist immer eine Stelle offen.«
»Ich fürchte, die Wale muss jemand anders retten, Ma«, sagte ich. »Der neue Job wird mich vermutlich ausfüllen. Außerdem kann ich da nachts arbeiten.«
»Wenn es dich glücklich macht«, bemerkte Mar-Mar mit einem Seufzer, der mir zeigen sollte, dass sie darüber ganz und gar nicht glücklich war. Sie kam auf den Zweck ihres Besuches zurück.
»Was wäre denn dabei, wenn du dich mal mit Zoes Sohn treffen würdest? Du könntest es wenigstens versuchen. Er scheint mir ein netter Junge zu sein.«
»Lieber nicht, Ma.«
»Mir zuliebe. Es müsste ja kein richtiges Date sein. Schau einfach nächsten Samstagabend bei mir vorbei. Da werden Zoe und Louis auf ein Glas zu mir kommen.«
»Louis?«
»Ja, er ist Franzose. Aus Louisiana. Du kennst diesen Zweig der Familie, aber der Junge ist in Ordnung.«
Ich kannte diesen Zweig nicht im Geringsten, hatte jedoch ein paar üble Gerüchte darüber gehört. Louis’ Abstammung war mir allerdings ganz gleich, ich würde ihn ohnehin nicht mögen.
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