Vampire sind die beste Medizin: Argeneau Vampir 9
Hintergrund hörte sie, wie Julius und Christian sich unterhielten, und unwillkürlich fragte sie sich, wie sie sich dem jüngeren Unsterblichen gegenüber verhalten sollte. Allmählich begann sie tatsächlich, Julius’ Geschichte zu glauben. An alle anderen Zeiträume in ihrem Leben konnte sie sich sehr präzise erinnern, und es war mehr als seltsam, dass ausgerechnet diese Phase ihr nur so verschwommen im Gedächtnis geblieben war.
Während sie in ihrem Etagenbett lag, hatte sie lange Zeit gegrübelt und versucht, sich genauer an diese Reise durch Europa zu erinnern. Sie wusste nur, dass sie recht angenehm verlaufen war, doch alle Details blieben ihr verborgen. Nicht ein einziges Ereignis war ihr noch gegenwärtig, sie wusste nichts über die Städte, die sie besucht hatten, und konnte nicht mal sagen, ob sie sich wund geritten hatte oder nicht. Das konnte einfach nicht sein.
Und dazu kam auch noch dieser hoffnungsvolle Ausdruck in Julius’ Augen, als sie im Dorchester anrief, um mit Martine zu reden. Ja, sie begann, seine Geschichte zu glauben. Und wenn sie daran glaubte, dann war Christian ihr Sohn. Ein Sohn, den sie nach seiner Geburt ihrer Dienstmagd übergeben hatte, damit die ihn tötete! Großer Gott, der Junge musste sie dafür hassen! Und selbst wenn er es nicht tat, hasste sie sich selbst dafür.
„Christian hasst dich nicht“, sagte Marcus leise. Marguerite verkrampfte sich, als ihr klar wurde, dass er soeben ihre Gedanken gelesen hatte. Lästiger Kerl, dachte sie gereizt und hörte ihn leise lachen. „Natürlich lese ich dich“, gab er unumwunden zu und ergänzte dann: „Ich liebe Christian wie einen Sohn, und Julius ist für mich wie ein Bruder. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um zu verhindern, dass den beiden nochmals wehgetan wird.“
Bedächtig richtete sie sich auf und sah ihn an. „Wieso kann man mich so leicht lesen und kontrollieren? Bei anderen Unsterblichen ist das nicht so.“
Marcus zögerte kurz, ein sorgenvoller Ausdruck huschte über sein Gesicht. „Ich glaube nicht, dass du so einfach zu lesen bist.“
„Du kannst mich zum Beispiel lesen“, hielt sie dagegen.
„Ja, aber nur, weil du im Moment aufgebracht bist“, stellte er klar. „In Kalifornien konnte ich dich nicht so leicht lesen. An dem Abend, an dem wir uns dort begegneten, warst du in Sorge um Jackie und Vincent, und dabei fand ich heraus, dass du dich nicht an mich erinnern konntest und auch nichts mehr von unserer Begegnung hier in York wusstest.“
„Du warst damals auch hier?“, fragte sie überrascht.
Er nickte. „Ich habe mit euch beiden ein Jahr zusammengelebt. Von mir kam der Vorschlag, dass wir uns in der Stadt eine Unterkunft suchen, als euch beiden klar wurde, dass ihr Lebensgefährten seid.“
Marguerite legte die Stirn in Falten und forschte in ihren Erinnerungen, ob sie davon noch irgendetwas wusste, doch das einzige Ergebnis bestand darin, dass sie Kopfschmerzen bekam. Sie gab ihre Bemühungen auf und betrachtete den Mann verärgert. „Kannst du mich kontrollieren?“ Als er überzeugt den Kopf schüttelte, kniff sie argwöhnisch die Augen zusammen. „Hast du es versucht?“ Er nickte wie selbstverständlich, aber da er sich weiter nicht dazu äußerte, wandte sie sich wieder ihrem Koffer zu.
„Julius lässt ausrichten, dass er Sie gleich ablösen wird“, verkündete Tiny, der soeben das Zimmer betrat. „Er hat alles gepackt und telefoniert jetzt noch wegen der Maschine.“ Als Marcus bestätigend nickte, zögerte Tiny kurz, ging dann aber weiter zu Marguerite.
„Wie sieht’s aus?“, fragte er, doch an seiner besorgten Miene konnte sie ablesen, dass er sich nicht auf den Koffer bezog.
„Ich bin mir nicht sicher“, gestand sie ihm leise, während sie noch etwas in den Koffer legte und dann den Reißverschluss zuzog. Als sie fertig war, sah sie den Detektiv an. „Sag mal, glaubst du wirklich, dass das alles stimmt?“ Er ließ sich ihre Frage durch den Kopf gehen. „Ja“, antwortete er dann überzeugt, und als sie kurz die Augen zukniff, fügte er an: „Und wenn ich mich nicht irre, glaubst du es auch.“
Fassungslos sah sie ihn an. „Du brauchst nur genug Zeit, um es zu akzeptieren. Es ist eine ganze Menge, was du da verarbeiten musst. Eine Vergangenheit, von der du nichts mehr weißt, ein Lebensgefährte, ein Kind, du selbst eine Bigamistin.“
„Was?“, rief sie entsetzt.
„Na ja, du hast Julius geheiratet, als du dachtest, du wärst verwitwet“,
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