VAMPIRE SOULS - Böses Blut: Roman (German Edition)
nichts für mich zu behalten. Damals war ich sechzehn Jahre alt und habe als Zeugin über die betrügerischen Aktivitäten meiner Eltern vor Gericht ausgesagt. Als Dank für den Dienst, den ich der Gesellschaft damit erwiesen habe, hat der Staat meine Eltern weggesperrt und mich in eine Pflegefamilie gesteckt. Das war mein Lohn dafür, eine Petze gewesen zu sein, eine hinterhältige Ratte.
Also mache ich ein ernstes Gesicht, als ich David anschaue, und nicke fest. »Aufrichtig. Ja, natürlich.«
Ich verberge mein Gesicht hinter dem riesigen Kaffeebecher. Gleichzeitig erinnere ich mich an die Antwort, die ich Jeremy gegeben habe, als er mir seine Sehnsucht nach etwas Authentischem offenbarte. Ich für meinen Teil weiß tatsächlich nicht zu sagen, was ›authentisch‹ eigentlich ist, oder ›real‹. Ich habe zwei berufliche Betätigungsfelder hintereinander beackert, bei denen es nur darum ging, für alle um mich herum die Grenzen dessen zu verwischen, was authentisch oder real ist.
Aber der Umstand, dass etwas sehr Reales zu Hause auf mich wartet, wirklich in echt zum Anfassen, lässt mich wünschen, ich könnte den ganzen Tag auf diesem zugigen Dachboden verbringen – und möglichst gleich auch noch die ganze Nacht.
20
Behind Blue Eyes
Als ich am Samstagabend ziemlich spät die Wohnung betrete, kommt mir kein Dexter entgegen, um mich zu begrüßen. Er bleibt auf der Couch neben Shane liegen, hebt aber immerhin den Kopf und wedelt mit dem Schwanz.
»Hallo, du!« Shane nimmt die Hand gerade einmal lang genug von den Saiten seiner Gitarre, um mir kurz zuzuwinken. »Wie lief ’s beim Spionageauftrag?«
»Richtig gut. Geradezu produktiv.« Ich hänge meinen Mantel an einen der Garderobenhaken auf der Türinnenseite. Ich nehme den, über dem ein C steht, nur um mir einen neuerlichen Vortrag zu ersparen.
»Echt? Habt ihr etwa ein paar böse Jungs dingfest gemacht?«
»Ned haben wir als FAN-Mann identifizieren können sowie einen anderen Typen, der mir bisher noch nicht über den Weg gelaufen ist. Wir haben die beiden fotografiert und das Nummernschild ihres Wagens gleich mit.« Ich beuge mich vor und küsse Shane. Seine Lippen sind kalt, ebenso wie seine Hand, mit der er mir über die Wange streicht. Ich entziehe mich ihm. »Ich bin am Verhungern. David hat mich, Lori und Franklin dazu gezwungen, seinen Gesund-Eintopf zu essen. Frag mich jetzt bloß nicht, was drin war. Ich habe keinen blassen Schimmer.«
Aus dem Vorratsschrank hole ich mir ein Fertiggericht. Ich entscheide mich für Makkaroni mit Käse, die sind schnell gemacht. Während ich zwecks Entscheidungsfindung auf meine Vorräte blicke, muss ich feststellen, dass die Dosen alle mit dem Etikett nach vorn und präzise mittig im Schrank aufgereiht stehen. Zu meiner Erleichterung sind sie nicht auch noch alphabetisch sortiert, zumindest nicht nach einem System, das ich sofort durchschaue. (Eventuell ist ja der dritte Buchstabe des zweiten angegebenen Inhaltsstoffs für die Sortierung ausschlaggebend. Aber überprüfen werde ich das nicht!)
Ich setze Wasser auf und schlendere zurück in den Wohnbereich. Ich lasse mich neben Shane und seiner niemals stillschweigenden Gitarre nieder.
Er hört auf zu spielen und sieht mich an. »Was?«
»Mir ist nie aufgefallen, wie viel Zeit du damit verbringst, Gitarre zu spielen.«
»Was glaubst du denn, wie ich so gut geworden bin darin? Durch Vampir-Magie?« Er lächelt und klimpert ein dramatisches Riff. »Alles Übung, meine Süße, alles Übung!« Dann stellt er die Gitarre auf den Boden, den Hals gegen die Couchlehne gelehnt. »Nervt dich das?«
Ich schüttele den Kopf. »Nee, das nicht. Aber es schirmt uns voneinander ab. Wie eine Mauer.«
Sein Gesichtsausdruck ist leicht zu lesen: Bedauern. »Tut mir leid. Ich blende dich aber nicht aus, das stimmt nicht.«
»Nein, so meine ich das nicht. Eigentlich hat es sogar was Gutes. Es ist, als hätte die Wohnung noch einen Raum mehr.«
»Ah, ich verstehe. Wenn ich Gitarre spiele, brauchst du dich nicht mit mir zu beschäftigen.« Mit einer Handbewegung schneidet er den entschuldigenden Protest ab, zu dem ich gerade ansetze. »Ist schon okay. Ich weiß, du brauchst Raum für dich. Wie ich auch. Ist doch egal, solange der Rest dann funktioniert.«
Ich wische mir meine plötzlich schwitzigen Hände an der Jeans ab. »Du meinst also, es funktioniert bisher mit uns beiden?«
Shane zögert. Ein Blick aus hellblauen Augen wandert im Zimmer umher, bis er mich trifft.
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