Vampire's Kiss
oder irgendwie spürte. »Ich glaube, wir haben etwas gemeinsam, du und ich.«
»Und was könnte das sein?«
»Wir ziehen es beide vor, im Alleingang zu handeln.«
Das war gefährliches Terrain. Ich musste meinen Weg mit großer Vorsicht wählen. »Du kennst mich nicht«, sagte ich zurückhaltend.
»Das stimmt.« Er schaute an mir vorbei, und sein Gesicht verwandelte sich in eine starre Maske. »Zeit zum Aufbruch.«
Ich drehte mich um und sah Alcántara den Felsenpfad herunterkommen. In seiner Begleitung befand sich ein halbwüchsiger Junge. Als sie sich dem Strand näherten, sah ich, dass er ihm die Hände auf dem Rücken gefesselt hatte.
»Was zum –?«
»Still.« Carden schob sich vor mich und rief Alcántara zu: »Wir sind startklar.«
Alcántara ging schnurstracks auf das Boot zu und schob es ins tiefere Wasser. Carden trat neben ihn, um ihm zu helfen, und ich nutzte die Gelegenheit, um unseren neuen Passagier zu mustern. Er war fünfzehn oder höchstens sechzehn, und das Entsetzen in seinen Augen bereitete mir Sorgen.
»Hey«, sagte ich zu ihm.
Er warf mir einen nervösen Blick zu. »Wer seid ihr eigentlich?«
Wer waren wir eigentlich? Eine gute Frage. Ich wusste nicht recht, was ich darauf antworten sollte. »Zerbrich dir nicht den Kopf darüber. Alles total cool.«
Er zitterte und trat von einem Fuß auf den anderen. Ich sah, dass er ein paar winzige Fänge hatte. Offenbar ein brandneuer Vampir-Anwärter. Ich hoffte nur, dass ich recht behielt und wirklich alles total cool war.
Alcántara winkte uns ins Boot. Diesmal war es Carden, der uns zum Trawler hinausruderte, während Alcántara finster den Jungen anstarrte. »Du bist ein ganz Hübscher«, sagte er schließlich. » Qué lindo! Und für einen hübschen Jungen wie dich könnte man sicher ein gutes Lösegeld bekommen.«
Der Bursche sah aus, als würde er sich gleich in die Hose pinkeln.
»Aber ich sehe vorerst keine Notwendigkeit für eine solche Härte«, fuhr er großmütig fort. »Genieße stattdessen unsere Gastfreundschaft. Ich habe eine Menge Fragen, die das gesellschaftliche Leben auf eurer Insel betreffen. Allem Anschein nach mangelt es den hohen Herren nur selten an bezauberndem Damenbesuch.«
Das Blut erstarrte mir in den Adern. Es ging ihm tatsächlich um die Frage, ob sich Lilou auf der Insel seiner Feinde befand.
Wir machten längsseits am Trawler fest. Alcántara erhob sich und vollführte eine weit ausholende Armbewegung, als lade er den Jungen auf eine Vergnügungsfahrt und nicht auf einen stinkigen alten Fischkutter ein. »Es macht dir sicher nichts aus, uns noch ein Stück zu begleiten. Das war keine Frage, sondern ein Befehl.
An Bord des Trawlers zerrte Alcántara den Gefangenen ohne Umschweife unter Deck. Instinktiv wollte ich ihm folgen, aber Carden legte mir eine Hand auf die Schulter und hielt mich zurück. Wir standen reglos da, bis Alcántara in den Schatten des Niedergangs verschwunden war.
»Du willst das nicht mit ansehen«, murmelte Carden.
Mein Mund war trocken. Ich bemühte mich, das Entsetzen zu vergessen, das ich in den Augen des Jungen gelesen hatte, während ich auf seine Schreie horchte.
Die ganze Nacht.
Das Stampfen des Trawlers war nicht laut genug, um die Folterqualen zu übertönen. Ich weiß nicht, was Alcántara von ihm erfuhr – oder ob er überhaupt etwas erfuhr. Ich versuchte, nicht daran zu denken, dass dieser Junge etwa so alt war wie Yas oder Josh. Wie ich.
Am nächsten Morgen war er tot.
Ich stürmte in den Speisesaal, weil ich mit irgendwem reden musste. Ich war wieder daheim, aber ich hatte mich noch nie im Leben so fremd gefühlt. Ich wusste, dass ich die Geschichte mit dem Bund niemandem erzählen konnte, aber ich musste mit irgendwem über irgendetwas reden – um mich wieder normal zu fühlen, um diese beängstigende und, offen gestanden, tief in meine Intimsphäre reichende Beziehung zu realisieren und in den Griff zu bekommen.
Ich stellte mich nicht zum Essenfassen in der Schlange an, sondern holte mir nur meine Blutration und ging damit geradewegs auf Emmas Tisch zu. Aber als sie und Yasuo mich entdeckten und ein Stück auseinanderrückten, ging ein kleiner Riss durch meine Seele. Die beiden verband eine echte Zuneigung, während es mein Schicksal zu sein schien, höchst verwirrende Beziehungen zu Vampiren einzugehen.
Doch dann fragte ich mich zum x-ten Mal, wie diese Geschichte enden sollte, wenn Yas sich zu einem richtigen Vampir entwickelte. Ich hatte einen Platz in
Weitere Kostenlose Bücher