Vampirgeflüster
war gar nicht wirklich verletzt.«
»Nein. Aber ich, gleich danach, denn er war sehr hungrig. Er hieß übrigens Appius Livius Ocella.« Eric lächelte, wenn auch ziemlich unfroh. »Er brachte mir vieles bei, und als Erstes, dass ich ihn nicht Appius nennen solle. Ich hätte ihn schließlich noch nicht mal erkannt, sagte er.«
»Und was als Zweites?«
»Was ich tun musste, damit ich ihn erkannte.«
»Oh.« Ich glaubte zu verstehen, was er meinte.
Eric zuckte die Achseln. »So schlimm war's nicht... als wir die Gegend verließen, hatte ich ihn erkannt. Und bald hörte ich auf, mich nach meinen Kindern und meinem Zuhause zu sehnen. Ich war bis dahin nie von meinem Stamm weggekommen. Mein Vater und meine Mutter lebten noch. Ich wusste, dass auch meine Brüder und Schwestern sich um meine Kinder kümmern und sie anständig erziehen würden. Und ich hatte ihnen genug hinterlassen, so dass sie keinem zur Last fielen. Ich machte mir natürlich Sorgen, aber was nützte das schon. Ich musste mich von ihnen fernhalten. Zu jener Zeit fiel in den kleinen Dörfern jeder Fremde sofort auf, und wenn ich mich in die Nähe meiner Familie gewagt hätte, hätten sie mich erkannt und Jagd auf mich gemacht. Sie hätten gewusst, was aus mir geworden war, oder zumindest, dass ich... böse war.«
»Und wohin bist du mit Appius gegangen?«
»In die größten Städte, die wir finden konnten, und davon gab es damals nur sehr wenige. Die meiste Zeit waren wir auf Reisen, immer abseits der Straßen, so dass wir uns von anderen Reisenden ernähren konnten.«
Ich schauderte. Es tat weh, sich den extravaganten und schlagfertigen Eric als einen vorzustellen, der durch die Wälder schlich und auf leichte Blutbeute hoffte. Und der Gedanke, dass er sein Unglück noch dazu so lange geheim gehalten hatte, war einfach schrecklich.
»Es waren allerdings nur wenig Leute unterwegs«, fuhr er fort. »Und die Dorfbewohner vermissten ihre Nachbarn immer sofort. Also mussten wir ständig weiter. Junge Vampire sind besonders hungrig, und anfangs tötete ich beim Blutsaugen sogar, wenn ich es gar nicht wollte.«
Ich holte tief Luft. Herrje, das taten Vampire eben. Wenn sie jung waren, töteten sie. Damals gab es noch keinen Ersatz für frisches Blut. Es hieß: Töte oder stirb. »War er gut zu dir? Dieser Appius Livius Ocella?« Konnte es einem noch schlimmer ergehen als ständig mit dem eigenen Mörder unterwegs zu sein?
»Er hat mir alles beigebracht, was er wusste. Und wie ich war er im Heer gewesen und ein Kämpfer, das verband uns. Na gut, er mochte Männer, daran musste ich mich erst gewöhnen. Ich hatte das noch nie gemacht. Aber einem jungen Vampir erscheint alles Sexuelle als unheimlich aufregend, und so hat mir sogar das gefallen... gelegentlich.«
»Du musstest dich fügen«, entgegnete ich.
»Oh, er war viel stärker... obwohl ich muskulöser war als er - größer, längere Arme. Aber er war schon so viele Jahrhunderte lang ein Vampir, dass er aufgehört hatte zu zählen. Und er war natürlich mein Schöpfer. Ich musste ihm gehorchen.« Eric zuckte die Achseln.
»Ist das so eine mystische Sache oder bloß eine erfundene Regel?«, fragte ich neugierig, als ich mich endlich dazu durchgerungen hatte.
»Beides«, erwiderte Eric. »Es ist wie ein Zwang, dem man unmöglich widerstehen kann, selbst wenn man will... selbst wenn man unbedingt weg will.« Sein bleiches Gesicht wirkte verschlossen und grüblerisch.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Eric irgendwas tat, was er nicht tun wollte, nicht mal wenn er der Untergebene war. Er hatte natürlich auch jetzt einen Boss, er war nicht unabhängig. Doch er musste weder Kniefall noch Kratzfuß machen, und die meisten seiner Entscheidungen traf er selbst.
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte ich.
»Das würde ich dir auch nicht wünschen.« Ironisch verzog er den Mund. Gerade als ich begann, mir über diese Ironie Gedanken zu machen - schließlich hatte er mich einfach auf Vampirart geheiratet, ohne vorher zu fragen -, wechselte Eric das Thema und warf die Tür zu seiner Vergangenheit zu. »Die Welt hat sich sehr verändert, seit ich ein Mensch war. Die letzten hundert Jahre waren besonders aufregend. Und jetzt sind auch noch die Werwölfe an die Öffentlichkeit getreten, und all die anderen Zweigestaltigen. Wer weiß? Vielleicht treten als Nächstes die Hexen oder die Elfen aus dem Dunkel.« Er lächelte mich an, wenn auch etwas kühl.
Bei diesen Worten kam mir gleich der wunderbare
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