Vampirgeflüster
das eigentlich gefiel, war ich doch froh, dass diese Haltung nicht allzu weit verbreitet war. »Keiner ist › nichts wert ‹ «, entgegnete ich. »Obwohl ich zugeben muss, dass Crystal es vermutlich nicht mal auf meine lange Auswahlliste geschafft hätte, wenn ich aussuchen müsste, wen ich zu mir ins Rettungsboot holen würde.«
Erics Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln.
»Aber«, fügte ich hinzu, »sie war schwanger, darum geht's, und es war das Baby meines Bruders.«
»Schwangere Frauen waren zu meiner Zeit doppelt so viel wert, wenn sie getötet wurden«, erzählte Eric.
Er hatte noch nie von sich aus Informationen über sein Leben vor dem Vampirdasein preisgegeben. »Wie meinst du das: wert?«, fragte ich.
»Im Krieg oder im Kampf mit Fremden konnten wir töten, wen wir wollten«, erklärte er. »Aber bei Streitereien in unserem eigenen Stamm mussten wir in Silber zahlen, wenn wir jemanden der Unseren getötet hatten.« Es sah aus, als könnte er sich nur mit Mühe erinnern. »Und wenn es um eine Frau mit Kind ging, war der Preis doppelt so hoch.«
»Wie alt warst du, als du geheiratet hast? Hattest du Kinder?« Ich wusste zwar, dass Eric verheiratet war, aber sonst nichts aus seinem Wikingerleben.
»Ich galt als Mann, seit ich zwölf war«, begann er. »Mit sechzehn habe ich geheiratet. Meine Frau hieß Aude. Aude hatte... wir hatten... sechs Kinder.«
Ich hielt den Atem an. Eric blickte tatsächlich in die abgrundtiefe Zeitkluft hinab, die sich zwischen seiner Gegenwart - in einer Bar in Shreveport, Louisiana - und seiner Vergangenheit - einer seit tausend Jahren toten Ehefrau - auftat.
»Sind sie alle am Leben geblieben?«, fragte ich sehr leise.
»Drei sind am Leben geblieben«, erwiderte Eric, und er lächelte. »Zwei Jungen und ein Mädchen. Zwei sind bei der Geburt gestorben. Und mit dem sechsten Kind ist auch Aude gestorben.«
»Woran?«
Er zuckte die Achseln. »Das Kind und sie bekamen Fieber. Wahrscheinlich irgendeine Infektion. Aber damals starben die Leute meistens, wenn sie krank wurden. Aude und das Kind sind beide nur Stunden nacheinander gestorben. Ich habe sie in einem herrlichen Schrein beerdigt«, erzählte er stolz. »Meine Gemahlin trug ihre wertvollste Brosche am Gewand, und das Kind habe ich ihr an den Busen gelegt.«
Noch nie hatte er so sehr wie ein Mann aus vergangenen Zeiten geklungen. »Wie alt warst du da?«
Eric dachte nach. »Anfang zwanzig«, sagte er, »vielleicht dreiundzwanzig. Aude war älter als ich. Sie war schon mit meinem älteren Bruder verheiratet gewesen, doch als er in einer Schlacht fiel, war es meine Pflicht, sie zu heiraten, damit unsere Familien verbunden blieben. Aber ich hatte sie schon immer gemocht, und sie war auch willens. Aude war nicht dumm, sie hatte bereits zwei Kinder meines Bruders verloren und hat sich gefreut, dass sie noch welche bekam, die überlebten.«
»Was ist aus deinen Kindern geworden?«
»Als ich zum Vampir wurde?«
Ich nickte. »Da waren sie doch noch nicht sehr alt.«
»Nein, sie waren noch klein. Es geschah bald nach Audes Tod«, erzählte Eric. »Ich habe sie vermisst, weißt du, und ich brauchte jemanden, der die Kinder aufzog. So etwas wie Hausmänner gab es damals nicht.« Er lachte. »Ich musste auf Beutezüge gehen und mich darum kümmern, dass die Sklaven draußen auf den Feldern das taten, was sie tun sollten. Also brauchte ich eine neue Ehefrau. Eines Abends bin ich die Familie einer jungen Frau, die ich zu heiraten hoffte, besuchen gegangen. Sie wohnten ein, zwei Meilen entfernt. Ich hatte einige Gastgeschenke dabei, mein Vater war ein Häuptling, und ich galt als gut aussehender junger Mann und gerühmter Kämpfer, war also eine gute Partie. Ihre Brüder und ihr Vater hießen mich freudig willkommen, und sie schien ... nett. Ich versuchte, sie etwas kennenzulernen. Der Abend verlief gut, und ich machte mir große Hoffnungen. Aber ich hatte eine Menge getrunken dort, und auf meinem Weg nach Hause an diesem Abend ...« Eric hielt kurz inne, und ich sah, dass sein Brustkorb sich hob. Bei der Erinnerung an die letzten Augenblicke seines Lebens als Mensch hatte er tatsächlich einmal tief Luft geholt. »Es war Vollmond. Und plötzlich sah ich am Straßenrand einen verletzten Mann liegen. Normalerweise hätte ich mich zuerst umgesehen und nach seinen Angreifern Ausschau gehalten, doch ich war betrunken. Ich ging einfach hin, um ihm zu helfen. Und was dann geschah, kannst du dir wahrscheinlich denken.«
»Er
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