Vampirgeflüster
doch dann wurden sie abgelenkt.« Was mich auf das schmerzliche Thema brachte. »Weißt du, was Crystal zugestoßen ist?«
In diesem Augenblick riefen leider einige andere Gäste nach mir, und es dauerte eine Weile, ehe ich zu dem schon ungeduldig wartenden Niall zurückkehren konnte. Er griff das Gespräch genau dort wieder auf, wo wir unterbrochen worden waren.
»Ja, ich weiß, was ihr zugestoßen ist.« Nialls Miene schien sich nicht zu verändern, doch ich spürte die Kälte, die von ihm ausging. Hätte ich irgendetwas mit dem Mord an Crystal zu tun gehabt, es wäre mir vor Angst eiskalt den Rücken heruntergelaufen.
»Warum das denn?«, fragte ich. Er hatte sich nie für Jason interessiert, ja, Niall schien meinen Bruder nicht mal zu mögen.
»Es interessiert mich immer«, sagte Niall, »aus welchem Grund jemand, der eine Verbindung zu mir hatte, gestorben ist.« Niall sprach zwar in völlig unpersönlichem Ton von Crystals Tod, doch wenn ihre Ermordung ihn interessierte, würde er uns vielleicht auch helfen. Wollte er Jason vom Tatverdacht befreien, weil Jason ebenso sein Urenkel war wie ich seine Urenkelin? Bislang hatte Niall nie Anstalten gemacht, sich mit Jason zu treffen, geschweige denn ihn kennenzulernen.
Antoine drückte auf die Küchenklingel, weil eine meiner Bestellungen fertig war, und ich eilte los, um Sid Matt Lancaster und Bud Dearborn ihre mit Käse, Schinken und Chili überbackenen Pommes frites zu servieren. Der seit Kurzem verwitwete Sid Matt war so alt, dass er vermutlich dachte, seine Arterien könnten gar nicht noch schlimmer verkalken, und Bud Dearborn war noch nie ein Fan gesunden Essens gewesen.
Als ich wieder zu Niall zurückkehren konnte, fragte ich: »Kannst du dir vorstellen, wer es getan hat? Die Werpanther suchen auch nach dem Mörder.« Ich legte noch eine Serviette vor ihn auf den Tisch, damit ich beschäftigt aussah.
Niall verachtete die Panther nicht. Elfen schienen sich zwar als etwas Besonderes und allen anderen übernatürlichen Geschöpfen überlegen zu fühlen, doch Niall respektierte die Gestaltwandler zumindest - im Gegensatz zu den Vampiren, die in ihnen Bürger zweiter Klasse sahen.
»Ich werde mich ein wenig umhören. In letzter Zeit war ich sehr beschäftigt, weshalb ich dich auch nicht besucht habe. Es gibt Schwierigkeiten«, erwiderte Niall und sah bei diesen Worten sogar noch ernster aus als sonst.
Oh, Mist. Noch mehr Probleme.
»Aber du musst dir keine Sorgen machen«, fügte er majestätisch hinzu. »Ich werde mich darum kümmern.«
Habe ich schon erwähnt, dass Niall etwas zu viel Stolz hat? Aber ich konnte nicht anders, ich machte mir Sorgen. Jeden Augenblick musste ich wieder los, um die anderen Gäste zu bedienen, und ich wollte sicher sein, dass ich ihn richtig verstanden hatte. Niall kam nicht oft vorbei, und wenn, dann hielt er sich nie lange auf. Wer weiß, vielleicht hatte ich nachher keine Gelegenheit mehr, ihn zu sprechen. »Was ist los, Niall?«, fragte ich daher geradeheraus.
»Ich möchte, dass du ganz besonders auf dich aufpasst. Falls dir irgendwelche anderen Elfen außer Claudine und Claude oder ich selbst begegnen, ruf mich sofort an.«
»Warum sollte ich mir wegen anderer Elfen Sorgen machen?« Und dann fiel der Groschen. »Warum sollten andere Elfen mir etwas antun wollen?«
»Weil du meine Urenkelin bist.« Niall stand auf, und ich wusste, dass ich keine weiteren Erklärungen erhalten würde.
Niall umarmte und küsste mich noch einmal (Elfen sind sehr gefühlsduselig), und dann verließ er mit dem Gehstock in der Hand das Merlotte's. Ich hatte ihn den Stock noch nie als Gehhilfe benutzen sehen, aber er hatte ihn immer dabei. Ob wohl ein Dolch darin verborgen war, fragte ich mich, als ich ihm hinterhersah. Oder vielleicht war es ein besonders langer Zauberstab. Oder beides. Ach, wenn er doch nur noch eine Weile geblieben wäre oder die drohende Gefahr wenigstens etwas genauer beschrieben hätte.
»Miss Stackhouse«, sagte da hinter mir ein Mann höflich, »würden Sie uns bitte noch einen Krug Bier und einen Korb frittierte Pickles bringen?«
Ich drehte mich zu Spezialagent Lattesta um. »Natürlich, gern«, erwiderte ich und lächelte automatisch.
»Das war ein sehr gut aussehender Mann«, sagte Sarah Weiss, die die Wirkung der beiden Gläser Bier, die sie getrunken hatte, bereits spürte. »Er sah irgendwie anders aus. Kommt er aus Europa?«
»Er sieht wirklich wie ein Ausländer aus«, stimmte ich zu, nahm den leeren
Weitere Kostenlose Bücher