Vampirgeflüster
Staunen. »Oh, Gott sei Dank! Geht es dir gut?«
In diesem Moment schlichen Amelia und ich aus der Küche. Amelia brachte mich zu meinem Auto. »Hast du je von diesem Louis gehört?«, fragte ich.
»Sie hat nie über ihr Privatleben geredet, als ich bei ihr zaubern lernte. Aber andere Hexen haben mir erzählt, dass Octavia einen festen Freund hat. Seit sie hier ist, hat sie ihn allerdings nie erwähnt. Es scheint, als hätte sie seit Katrina nichts mehr von ihm gehört.«
»Vielleicht hatte sie angenommen, dass er den Hurrikan nicht überlebt hat«, meinte ich, und mit aufgerissenen Augen sahen wir uns an.
»Das ist ja 'n Ding«, sagte Amelia. »Nun, dann werden wir Octavia wohl bald verlieren.« Sie versuchte zu verbergen, wie erleichtert sie war, aber ich konnte es natürlich in ihren Gedanken lesen. So sehr Amelia ihre Mentorin auch mochte, für Amelia war das Zusammenwohnen mit Octavia immer wie das Zusammenwohnen mit der eigenen Grundschullehrerin gewesen.
»Ich muss los«, sagte ich. »Halt mich auf dem Laufenden. Schick mir eine SMS, wenn's große Neuigkeiten gibt.« Das Schreiben von SMS war eine meiner neuen Fertigkeiten, die ich von Amelia gelernt hatte.
Trotz der kühlen Luft setzte Amelia sich in einen der Gartenstühle, die wir vor Kurzem aus dem Schuppen geholt hatten, um mutig den anstehenden Frühling vorwegzunehmen. »Sobald ich etwas erfahre«, versicherte sie mir. »Ich warte hier noch eine Weile, dann gehe ich nach ihr sehen.«
Ich stieg ins Auto und hoffte, die Heizung würde bald warm werden. In der aufkommenden Abenddämmerung fuhr ich ins Merlotte's. Auf dem Weg sah ich einen Kojoten. Meistens waren sie zu schlau, sich sehen zu lassen, doch dieser hier trottete am Straßenrand entlang, als hätte er in der Stadt eine Verabredung. Vielleicht war es wirklich ein Kojote, vielleicht aber auch ein Mensch in anderer Gestalt. Ich dachte an all die Opossums, Waschbären und gelegentlich auch Gürteltiere, die ich jeden Morgen zerquetscht an der Straße liegen sah, und fragte mich, wie viele Wergeschöpfe wohl schon in ihrer Tiergestalt so achtlos getötet worden waren. Vielleicht waren einige der Leichen, die die Polizei für Mordopfer hielt, in Wirklichkeit Menschen, die zufällig in ihrer gewandelten Gestalt ums Leben gekommen waren. Von Crystals Leiche waren die Merkmale ihrer Tiergestalt ja auch gewichen, als die Nägel entfernt wurden und man sie vom Kreuz nahm. Ich hätte schwören mögen, dass diese Nägel aus Silber waren. Aber es gab so vieles, was ich nicht wusste.
Als ich voll guter Vorsätze, mich mit Sam zu versöhnen, durch die Hintertür des Merlotte's trat, sah ich meinen Boss mit Bobby Burnham streiten. Inzwischen war es fast dunkel und Bobbys Dienst sollte eigentlich schon beendet sein. Doch stattdessen stand er im Flur vor Sams Büro, mit hochrotem Kopf und auf Hundertachtzig.
»Was ist los?«, fragte ich. »Bobby, wollten Sie mich sprechen?«
»Ja. Dieser Kerl wollte mir nicht sagen, wann Sie wieder herkommen«, erwiderte Bobby.
»Dieser Kerl ist mein Boss, und er muss Ihnen gar nichts sagen«, gab ich zurück. »Hier bin ich. Was haben Sie mir also zu sagen?«
»Eric schickt Ihnen diese Karte und hat mir befohlen, Ihnen zu sagen, dass ich zu Ihrer Verfügung stehe, wann immer Sie mich brauchen. Ich müsste sogar Ihren Wagen waschen, wenn Sie es wollten.« Bei diesen Worten lief Bobbys Gesicht noch roter an.
Wenn Eric meinte, Bobby würde nach einer öffentlichen Erniedrigung demütiger und fügsamer sein, war er wirklich verrückt. Jetzt würde Bobby mich die nächsten hundert Jahre hassen, falls er so lange leben sollte. Ich griff nach dem Umschlag, den Bobby mir hinhielt. »Danke, Bobby. Fahren Sie zurück nach Shreveport.«
Ich hatte die letzte Silbe kaum ausgesprochen, da war Bobby auch schon zur Hintertür hinaus. Ich musterte den einfachen weißen Umschlag und steckte ihn dann in meine Handtasche. Als ich aufblickte, sah ich in Sams Augen.
»Als würdest du noch einen Feind brauchen«, sagte er und stapfte in sein Büro.
Als würde ich noch einen Freund brauchen, der sich wie ein Arschloch aufführt , dachte ich. Tja, so viel dazu, dass wir beide über unseren Streit in fröhliches Gelächter ausbrechen würden. Ich folgte Sam und verstaute meine Handtasche in der Schublade, die er für uns Kellnerinnen frei hielt. Wir sprachen kein Wort miteinander. Dann ging ich in den Lagerraum und holte mir eine Schürze. Antoine tauschte seine fleckige gerade gegen eine
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