Vampirgeflüster
mehr als froh war, denn heute war mein freier Tag. Eigentlich hätte ich zur Abwechslung mal etwas Besonderes unternehmen sollen, zumal ich in letzter Zeit so viele Schwierigkeiten hatte. Doch mir fiel nichts ein. Ich schaltete den Wetterkanal ein und sah, dass die Höchsttemperaturen heute um die 20 Grad liegen sollten. Damit war der Winter offiziell vorbei, beschloss ich, auch wenn erst Januar war. Es würde sicher noch wieder kälter werden, aber diesen Tag wollte ich nutzen.
Ich holte meine alte Liege aus dem Schuppen und stellte sie in den Garten. Mein Haar band ich zurück und zog es noch einmal halb durchs Haargummi, damit es nicht im Pferdeschwanz herunterhing. Dann zog ich meinen kleinsten Bikini an, den hellorange-türkis gemusterten, rieb mich mit Sonnencreme ein, schnappte mir ein Radio und das Buch, das ich gerade las, und ging mit einem Handtuch hinaus in den Garten. Ja, es war kühl. Ja, ich kriegte eine Gänsehaut, als Wind aufkam. Aber diesen Tag strich ich mir immer rot im Kalender an: den Tag, an dem ich mein erstes Sonnenbad im Jahr nahm. Und ich wollte diesen Tag genießen. Ich hatte ihn bitter nötig.
Jedes Jahr wieder dachte ich über all die Gründe nach, warum ich mich nicht in die Sonne legen sollte. Und jedes Jahr wieder zählte ich all meine Tugenden auf: Ich trank nicht, ich rauchte nicht, und ich hatte sehr selten Sex, obwohl ich gewillt war, das zu ändern. Ich liebte die Sonne nun mal, und es war ein klarer wolkenloser Tag heute. Okay, früher oder später würde ich dafür zahlen müssen, aber es war und blieb eben einfach meine Schwäche. Ob mir mein Elfenblut vielleicht den möglichen Hautkrebs ersparen würde? Nein, meine Tante Linda war an Krebs gestorben, und sie hatte noch viel mehr Elfenblut gehabt als ich. Hm ... ach, zum Teufel damit.
Ich legte mich auf den Rücken und schloss die Augen, die ich noch mit einer dunklen Sonnenbrille vor dem grellen Licht schützte. Selig seufzend lag ich da und ignorierte die Tatsache einfach, dass es doch ein wenig zu kalt war. Ich verbannte so einiges sorgfältig aus meinen Gedanken: Crystal, mysteriöse, bösartige Elfen, das FBI. Nach einer Viertelstunde drehte ich mich auf den Bauch und sang hin und wieder die Songs des Country-und-Western-Senders aus Shreveport mit, weil keiner da war und mich hören konnte. Es klang einfach schrecklich, wenn ich sang.
»Was-machn-Sie-'n-da?«, ratterte plötzlich eine Stimme an meinem Ohr.
Mich hatte es vorher noch nie in die Höhe gerissen, doch diesmal schwebte ich buchstäblich zehn Zentimeter über der Liege. Und ich kreischte natürlich wie verrückt.
»Jesus Christus, Hirte von Judäa«, keuchte ich, als ich schließlich erkannte, dass es die Stimme von Diantha war, der Halbdämonin und Nichte des Rechtsanwalts Cataliades. »Diantha, Sie haben mich fast zu Tode erschreckt.«
Diantha lachte lautlos, und ihr schmaler, dürrer Körper bebte geradezu. Mit überkreuzten Beinen saß sie auf dem Rasen, in knielangen roten Lycra-Laufhosen und einem grün-schwarz gemusterten T-Shirt. Knallrote Converse und gelbe Socken vervollkommneten das Ensemble. Und sie hatte eine frische Narbe, eine lange, wulstig rote, die sich über die ganze linke Wade zog.
»Explosion«, sagte sie nur, als sie sah, dass mein Blick darauf ruhte. Diantha hatte auch die Haarfarbe gewechselt; sie war jetzt schimmernd platinblond. Doch die Narbe sah so schlimm aus, dass sie all meine Aufmerksamkeit fesselte.
»Wie geht's?«, fragte ich. Man verfiel im Gespräch mit Diantha ziemlich schnell in eine knappe Sprechweise, denn sie redete meist nur im Telegrammstil.
»Besser«, sagte sie und warf selbst einen Blick auf ihre Narbe, ehe sie mich mit ihren seltsamen grünen Augen direkt ansah. »Mein Onkel schickt mich.« Das musste die Ouvertüre der Nachricht sein, die sie überbringen sollte, dachte ich, weil sie die Wörter so langsam und deutlich ausgesprochen hatte.
»Was will Ihr Onkel mir mitteilen?« Ich lag noch immer auf dem Bauch da, aufgestützt auf die Ellenbogen. Mein Atem hatte sich inzwischen wieder beruhigt.
»Er sagt, die Elfen schweifen in dieser Welt umher, und Sie müssen vorsichtig sein. Er sagt, sie werden sich Ihrer bemächtigen, wenn sie können, und Ihnen wehtun.« Diantha blinzelte mich an.
»Aber warum denn?« Mein vergnüglicher Tag in der Sonne verpuffte gerade, als hätte es ihn nie gegeben. Mir wurde kalt, und nervös warf ich einen Blick durch den Garten.
»Ihr Urgroßvater hat viele Feinde«,
Weitere Kostenlose Bücher