Vampirgeflüster
der Vergangenheit an. Und mein Haar glänzte viel schöner, ja, es wirkte sogar dicker.
Es wunderte mich nicht, dass die Leute auf dem Schwarzen Markt Vampirblut kauften. Mich wunderte nur, dass die Leute dumm genug waren und darauf vertrauten, dass das rote Zeug, das die Dealer ihnen andrehten, echtes Vampirblut war. Oft waren die Phiolen mit TrueBlood gefüllt, mit Schweineblut oder sogar mit dem eigenen Blut der Ausbluter. Und falls die Leute mal echtes Vampirblut ergatterten, war es oft so alt, dass sie davon richtiggehend wahnsinnig wurden. Ich hätte nie von einem Ausbluter Vampirblut gekauft. Doch jetzt, seitdem ich es mehrmals (und äußerst frisch) bekommen hatte, musste ich nicht mal mehr Make-up auflegen. Meine Haut war makellos. Danke, Eric!
Aber wieso machte ich mir überhaupt Gedanken über mein Aussehen? In Claudes Gesellschaft würde mir sowieso keiner mehr einen zweiten Blick schenken. Claude war 1,85 Meter groß, hatte welliges, dunkles Haar, braune Augen, den Körper eines Strippers (mit Sixpack und allem Drum und Dran) und das Kinn und die Wangenknochen einer Renaissancestatue. Er hatte allerdings auch den Charakter einer Statue.
Heute trug Claude Khakihosen und ein enges Trägershirt unter einem offenen grünen Seidenhemd. Und er spielte mit einer dunklen Sonnenbrille herum. Wenn Claude nicht auf der Stripbühne stand, reichte sein Mienenspiel von ausdruckslos bis beleidigt, doch heute schien er irgendwie nervös zu sein. Misstrauisch blickte er sich im Restaurant um, als wäre ihm jemand gefolgt, und er entspannte sich auch nicht, als ich mich auf einen Stuhl an seinem Tisch fallen ließ. Vor ihm stand ein Becher mit dem Logo des Chick-fil-A, aber zu essen hatte er sich nichts geholt. Also tat ich es auch nicht.
»Sookie. Geht's dir gut?« Claude versuchte nicht mal, ernsthaft interessiert zu klingen. Immerhin wählte er wenigstens die richtigen Worte. Er war minimal höflicher geworden, seit er wusste, dass sein Großvater Niall mein Urgroßvater war, obwohl er natürlich nie vergaß, dass ich (größtenteils) bloß ein Mensch war. Wie die meisten Elfen hatte auch Claude für Menschen nur Verachtung übrig, aber er hatte definitiv großen Spaß daran, sie in sein Bett zu ziehen - solange sie Bartstoppeln hatten jedenfalls.
»Ja, danke, Claude. Ist schon eine Weile her.«
»Seit wir uns zuletzt gesehen haben? Ja.« Und genau so war es ihm auch recht. »Womit kann ich dir helfen? Oh, da kommt Claudine schon.« Er wirkte erleichtert.
Claudine trug ein braunes Kostüm mit großen Goldknöpfen und dazu eine Bluse mit dunkelbraunen, hellbraunen und cremefarbenen Streifen. Für die Arbeit kleidete sie sich immer höchst konservativ und das Kostüm stand ihr gut, doch der Schnitt ließ sie irgendwie nicht ganz so schlank wie sonst erscheinen. Claude und Claudine waren Zwillinge, ursprünglich sogar Drillinge, denn die beiden hatten noch eine Schwester gehabt, Claudette, die aber ermordet wurde. Man nennt die übrig gebliebenen zwei Geschwister von dreien doch »Zwillinge«, oder? Claudine war fast genauso groß wie ihr Bruder, und als sie sich jetzt zu ihm hinunterbeugte und ihn auf die Wange küsste, verschmolzen ihre Haare zu einer einzigen Kaskade langer, dunkler Wellen. Und auch ich bekam einen Kuss. Waren eigentlich alle Elfen so sehr auf Körperkontakt versessen wie meine zwei Verwandten? Meine Cousine hatte sich ihr ganzes Tablett voll Essen gehäuft: Pommes frites, Hühnchen-Nuggets, ein Dessert und eine große süße Limonade.
»Welche Schwierigkeiten hat Niall?«, fragte ich sogleich ohne lange Vorrede. »Wer sind seine Feinde? Sind das alles echte Elfen? Oder gehören sie einem der anderen Elfenvölker an?«
Einen Augenblick schwiegen Claude und Claudine angesichts meines forschen Vorpreschens. Meine Fragen überraschten sie allerdings nicht, was ja auch schon etwas heißen wollte.
»Unsere Feinde sind echte Elfen«, erwiderte Claudine. »Die anderen Elfenvölker mischen sich grundsätzlich nicht in unsere Politik ein, auch wenn wir alle nur Variationen desselben Leitmotivs sind - so wie Pygmäen, Weiße oder Asiaten verschiedene Spielarten des Menschen.« Sie wirkte traurig. »Aber wir alle sind nicht mehr, was wir einst waren.« Und dann riss Claudine ein Tütchen Ketchup auf, verteilte ihn auf ihren Pommes frites und steckte sich gleich drei auf einmal in den Mund. Wow, ganz schön hungrig.
»Es würde Stunden dauern, unsere verzweigte Herkunft zu erklären«, sagte Claude, als
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