Vampirgeflüster
schon vorschlagen, dass Remy an meinem nächsten freien Tag Hunter zu mir bringen sollte oder dass ich zu ihnen nach Red Ditch kommen könnte. Doch dann erinnerte ich mich, dass ich ja das Ziel einer Gruppe amoklaufender Elfen war. Nicht der günstigste Zeitpunkt für den kleinen Kerl, mich zu besuchen. Und woher sollte ich wissen, dass die Elfen mich nicht bis zu Remy nach Hause verfolgen würden? Bislang wusste keiner von ihnen von Hunter. Nicht mal meinem Urgroßvater hatte ich von dessen besonderem Talent erzählt. Und wenn Niall selbst es nicht wusste, hatten es vielleicht auch seine Feinde nicht herausgefunden.
Im Großen und Ganzen sollte ich besser kein Risiko eingehen.
»Ich würde ihn wirklich gern wiedersehen und besser kennenlernen. Und ich verspreche auch, so gut zu helfen, wie ich kann«, erwiderte ich. »Doch im Moment ist es leider einfach nicht möglich. Aber es dauert ja noch eine Weile, bis der Kindergarten beginnt... vielleicht in einem Monat oder so?«
»Oh«, sagte Remy verdutzt. »Ich wollte ihn eigentlich gern an meinem freien Tag vorbeibringen.«
»Ich habe hier gerade einige Probleme zu lösen.« Falls es mir gelingen sollte, diese Probleme zu überleben ... doch genauer wollte ich mir das Ganze gar nicht vorstellen. Ich musste Remy eine glaubwürdige Ausrede präsentieren, und natürlich fiel mir eine ein. »Meine Schwägerin ist gerade gestorben«, erzählte ich ihm. »Kann ich Sie anrufen, wenn ich nicht mehr so beschäftigt bin mit den Details der...«Ich wusste nicht, wie ich den Satz beenden sollte. »Ich verspreche, dass es nicht lange dauern wird. Und wenn Sie nicht frei haben, kann Kristen ihn ja vielleicht herbringen.« Kristen war Remys Freundin.
»Nun, das ist Teil des Problems«, sagte Remy und klang etwas genervt, aber auch ein wenig belustigt. »Hunter hat zu Kristen gesagt, er weiß, dass sie ihn gar nicht lieb hat und dass sie aufhören soll, immer an seinen Daddy ohne Kleider an zu denken.«
Ich holte tief Luft und versuchte, nicht loszulachen, doch es gelang mir nicht. »Oh, Entschuldigung«, sagte ich. »Wie ist Kristen denn damit umgegangen?«
»Sie hat angefangen zu weinen. Und dann hat sie gesagt, dass sie mich zwar liebt, meinen Sohn aber für ein Monstrum hält, und ist gegangen.«
»Oje, schlimmer geht's kaum«, erwiderte ich. »Äh ... glauben Sie, dass Kristen anderen Leuten davon erzählen wird?«
»Könnte ich mir schon vorstellen.«
Das alles klang furchtbar vertraut: Es waren die Schemen meiner schmerzvollen Kindheit. »Remy, es ist nicht leicht.« Ich hatte Remy bei unserer kurzen Begegnung als einen netten Kerl kennengelernt, der seinen Sohn aufrichtig liebte. »Doch ich hab's auch irgendwie überlebt, falls Ihnen das ein wenig hilft.«
»Und Ihre Eltern, die auch?« In seiner Stimme schwang ein Lächeln mit, er meinte es nicht böse.
»Nein«, sagte ich. »Aber das hatte nichts mit mir zu tun. Sie sind eines Nachts auf dem Heimweg in einer Springflut ertrunken. Es hat in Strömen geregnet, die Sicht war miserabel, das Wasser war genauso schwarz wie die Straße, und sie sind einfach auf die Brücke gefahren und wurden weggespült.« Irgendwie summte es in meinem Kopf, wie eine Art Signal, dass dieser Gedanke wichtig war.
»Oh, das tut mir leid. Es sollte bloß ein Scherz sein.« Remy klang aufrichtig schockiert.
»Kein Problem. Es ist eben einfach passiert«, sagte ich in dem Ton, den man anschlug, wenn man vermeiden wollte, dass andere Leute zu viel Aufhebens von Gefühlen machten.
Wir beließen es dabei, dass ich ihn anrufen würde, wenn ich »mehr Zeit« hätte. (Was eigentlich hieß: »Wenn keiner mehr versucht, mich zu töten«, aber das sagte ich Remy natürlich nicht.) Ich legte auf und setzte mich auf den Stuhl am Küchentresen. Zum ersten Mal seit längerer Zeit dachte ich an den Tod meiner Eltern. Ich hatte einige Erinnerungen, doch diese war die traurigste. Jason war zehn gewesen und ich sieben, daher war mein eigenes Gedächtnis nicht allzu zuverlässig. Doch über die Jahre hinweg hatten wir oft darüber gesprochen, und meine Großmutter hatte mir die Geschichte viele Male erzählt, vor allem als sie älter wurde. Es war stets dieselbe gewesen: der strömende Regen, die Straße mit der Brücke, die über die niedrige Senke führte, in der der Bach floss, das schwarze Wasser ... und dann waren sie in der Dunkelheit weggespült worden. Der Wagen war am nächsten Tag gefunden worden, ihre Leichen erst ein, zwei Tage später.
Wie
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